In drei Drinks durch Köln
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In drei Drinks durch Köln

DIE ZEIT, Nr. 28/2024

In drei Drinks durch Köln

Barkeeper weisen den Weg durch die Nacht: Wolf Alexander Hanisch will sich die Bausünden der Stadt schöntrinken und wandelt auf den Spuren von Kate Moss

Kann man verstehen, dass diese Rubrik drei Dutzend Orte durchhat, aber die trinklustigste Stadt Deutschlands noch nicht dran war? Nein, kann man nicht. Also los durchs verschunkelte Köln, wo man fünfe bekanntlich gerader sein lässt als irgendwo sonst. Kein Wunder, denke ich vor dem Hauptbahnhof: Hier ist ja auch viel schönzusaufen. 262-mal wurde die Stadt im Zweiten Weltkrieg bombardiert, mehr als jede andere. Vom Zentrum ist außer dem zeitenschwarzen Gebirge des Doms kaum etwas übrig geblieben. Und dass der Wiederaufbau laut Heinrich Böll noch verheerender als die Feuerstürme gewesen sein soll, glaube ich gleich. Also erst mal weg hier.

Mit einem E-Scooter fahre ich nach Ehrenfeld. Der Party-Hotspot ist einer von 86 Stadtteilen, in denen Köln angeblich zu sich selbst findet – in der unbehausten City, sagen Einheimische, gelinge das der Stadt einfach nicht. In Ehrenfeld schlendere ich durch eine graffitibunte Wuselwelt, in der Günter Wallraff einst Salman Rushdie vor Khomeinis Fatwa versteckte, und hole mir ein Wegbier. Jeder hat hier eines in der Hand. Ich frage den Kioskmann, in welcher Bar ich mit dem ernsthaften Trinken beginnen soll, wenn das Bier alle ist. Er überlegt nicht lange: »Im Schwarzen Hasen«.

Zweimal spaziere ich absichtlich an dem Laden mit den großen Fenstern vorbei, er ist mir noch zu leer. Beim dritten Mal aber herrscht darin Gedränge, als hätten alle auf Kommando ihre Tarnkappen abgeworfen. Ich sehe in die Stirn gekämmte Caspar- David-Friedrich-Frisuren, Pork Pie Hats, ironiefrei getragene Schnurrbärte. Zwei Hunde stromern durch die einstige Fabrikhalle mit metallcoolem Industrieinterieur, eine DJane macht sich an einem Pult aus Stahlgittern arbeitsfertig und lässt schon mal Elektrobeats blubbern.

Die Cocktails sind die üblichen Mules, Sours, Mojitos. Die Espresso Martinis aber fallen auf: Sie gehen über den Tresen wie anderswo Kölschstangen. Nachtschwarz und schaumig steht der Signature- Drink kurz darauf auch vor mir. Sieht aus, als habe man Guinness in eine Cocktailschale gezapft. Der frisch gebrühte Espresso und der Kaffeelikör bringen ein süßes Röstaroma an den Gaumen, das Mundgefühl ist seiden. Dann kommt der Wumms des Wodkas. Ein Drink von lehrbuchhafter Richtigkeit und beeindruckender Effizienz. »Mach mich wach, und hau mich um« soll Kate Moss vor 40 Jahren von einem Londoner Barkeeper verlangt haben, der darauf den Espresso Martini für sie erfand, so Barchefin Anne.

Mit dieser Wirkung im Hintern darf’s jetzt ruhig kreativer werden. Wohin also als Nächstes? Anne schließt kurz die Augen hinter ihrer Helmut-Kohl-Brille und rät mir dann: Geh ins Seiberts.

Meint sie das ernst? Das frage ich mich, als ich etwas später im südlicher gelegenen Friesenviertel in einer Barbourjackenschlange warte. Der ergraute Türsteher wirkt wie ein Mathelehrer alter Schule und siezt seine Kundschaft. Nach einer Viertelstunde nimmt mir eine Dame den Mantel ab und platziert mich am Tresen in einer Art Gentlemen’s Club mit roten Samtvorhängen und Chesterfield-Sofas. Das alles erinnert an Loriot. Und anders als im Schwarzen Hasen wissen die Gäste hier noch, wer das war. Während um mich herum Barmänner Cocktailberatungen durchführen wie Ärzte Anamnesen, vertiefe ich mich in eine brockhausdicke Karte. Die 60 Eigenkreationen unter den 120 Drinks lesen sich so üppig, als seien sie nicht zum Trinken, sondern zum Reinbeißen da. Loriotlaunig klingen sie außerdem. Ich wähle die Walnuss Schnapsbirne: ein hausgemachter Walnuss-Bourbon mit Birnengeist aus dem Kastanienfass. Und was soll man sagen? Jede Nuss kann ja nur davon träumen, einmal in diesem Cocktail zu enden. Unterstützt von den Umdrehungen der Birne, holt der Drink jede erdenkliche Geschmacksnuance aus ihr heraus. Nie hätte ich geglaubt, dass Noten von Orange, Lavendel, Kaffee und ein Hauch Hustensaft in einer Walnuss stecken können.

Hausherr Volker Seibert und seine Mitalchemisten tragen Kochjacken und stellen rund 100 Zutaten selbst her. »Liquid Kitchen« nennen sie das Labor, das sich über die zwei oberen Stockwerke erstreckt. Im Barraum verbrüdern sich ihre Tüfteleien mit den 500 Spirituosen hinter der Theke. Wohin kann ich da noch weiterziehen? Schließlich trinke ich gerade an einem Ort, der Auszeichnungen sammelt wie manche Leute Schallplatten: Mein Tresennachbar will sie alle aufzählen und scheitert.

Meister Seibert begleitet mich zur Tür und schickt mich ins Spirits. Ein Handycheck zeigt: Preisträger empfehlen sich gegenseitig. Auch das Spirits ist hochdekoriert. Ich laufe hin über die Kölner Ringe, die man vor dem Krieg mit den Pariser Grands Boulevards verglich – eine Flaniermeile zum Sehen und Gesehenwerden. Das ist auch heute noch so. Nur eben zwischen Nachkriegsfassaden: Hier treffen sich Car-Porn- Fans und Frauen auf halsbrecherischen Stilettos. Das Spirits versteckt sich in einer Seitenstraße. Frauen lachen an pizzagroßen Tischchen vor einer blaugrauen Blockstreifentapete, ein DJ wippt im Takt des Acid Jazz. Statt Sudoku mit den Geschmacksnerven zu spielen, werden die Cocktailkreationen um diese Zeit nahezu gekippt. Man sucht sie sich per Barcode auf dem eigenen Handy aus. Meinen Drink bespreche ich aber lieber mit einem Mixologen, der trotz Kaiser-Wilhelm-Bart eine cheguevarahafte Coolness ausstrahlt. Wie seine Kollegen hat er diesen Respekt einflößenden, immer etwas zu zackig auftretenden Stolz der Bartender völlig in sich aufgesogen.

Wie wir feststellen, braucht meine Nachmitternachts-Stimmung einen Frank Meier Manhattan, kurz FMM: Der Manhattan-Twist auf der Basis von Rum, Rhum Agricole, Single Malt Whisky, Punt e Mes und Sherry soll eine Hommage an die Barkeeper-Legende Frank Meier aus dem Pariser Ritz der Dreißigerjahre sein, und nichts für Anfänger. Wohl wahr. Bei so einer Alkoholbombe wirkt der Geschmack fast wie eine Zugabe. Erdig und herb ist der FMM und herrlich altmodisch. Er schmeckt nach kirschholzfinsterer Herrenzimmerklüngelei und dem breitbeinigen Anpacken der Wirtschaftswunderzeit, die Köln zum Bausündendorado machte. Und doch steckt eine Art viriler Ernst in ihm. Jener Ernst, den die grundlos fidele Stadt da draußen so vermissen lässt. Am liebsten würde ich Genaueres bei einem weiteren Glas herausfinden. Aber ich lasse es bleiben. Es ginge mir morgen sonst nicht viel besser als Köln 1945.