In drei Drinks durch Freiburg
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In drei Drinks durch Freiburg

DIE ZEIT, Nr. 52/2021

In drei Drinks durch Freiburg

 

Barkeeper weisen den Weg durch die Nacht. Wolf Alexander Hanisch spürt harzige Finsternis und rauchiges Grollen in der Kehle – und braucht am Ende dringend Bier

Dublin? Florenz? Laaangweilig! Freiburg dagegen: Nix wie hin. Zumindest sieht das der Lonely Planet so. Der hat die Stadt unlängst in die Top Ten der im Jahr 2022 zu besuchenden Orte gejubelt. Nur Auckland und Taipeh landeten weiter vorn. Kaum mehr ein kriegt sich der Reiseführer, wenn er Freiburgs Nachhaltigkeitselan feiert. Klar, hier brennen ja sogar die Kerzen im Münster nach streng ökologischen Standards.

Um der Sache auf den Grund zu trinken, bin ich ins Breisgau gereist. Der Mensch lebt schließlich nicht von Wind- und Sonnenkraft allein. Hin und wieder braucht er auch eine Bar. Als Unterkunft habe ich mir das Hotel Victoria ausgesucht. Es rühmt sich, eins der umweltfreundlichsten der Welt zu sein. Wichtiger aber: In seinem Keller befindet sich die Hemingway Bar. Und die gilt als die Brutstätte der Freiburger Cocktailszene. Frisch geduscht steige ich hinab ins Tonnengewölbe. Erster Eindruck: Hier müssen sich die Freiburger schon mal die Fahrradklammern aus der Hose nehmen. Delikat gemaserte Mahagonitheke, edel schwellende Lederbänke, camparirotes Licht. Aus den Lautsprechern zittert Jazz, an den Stirnseiten prangen Bilder des trinklustigen Namenspaten. Ein paar Tweedträger aus der Schweiz diskutieren gerade die Börse, zwei amerikanische Jungspunde bestaunen die Havannas in einem Humidor. Sonst ist noch nicht viel los.

Dort, wo ich am Tresen Platz nehme, soll immerhin mal Hemingways Sohn gezecht haben. Das verrät mir Barchef Florian. Er gehört zu jenen Bartendern, die das Gras wachsen hören, bevor der Rasen eingesät ist. Woher weiß er, dass der Negroni mein Lieblingsdrink ist? Er serviert mir jedoch einen Twist, den er „Figroni“ getauft hat: Statt des Gins gibt Fichtensprossenschnaps die Trägerrakete. Der Geist stammt aus einer Brennerei um die Ecke und wird schon mal vom Besitzer persönlich vorbeigebracht. „Ganz kleiner ökologischer Fußabdruck“, sagt Florian und grinst.

Das Fichtendestillat lässt den Cocktail wacher schmecken als das sinistrere Original. Leicht spritig, fast ein wenig rauflustig, wirkt er auf den Klassiker wie eine Testosteronspritze auf einen gesetzten Herrn. Vielleicht teste ich mich anschließend deshalb so vergnügt durch die heimischen Brände. Wildpflaume, Rote Beete, Quitte, Sauerkirsche – Florian füllt Glas um Glas einen Finger hoch zum Probieren. Die Zeit gerät ins Rutschen, wenn ich nicht aufpasse, schnappt die Komfortfalle zu und ich lande bei den Zigarrenmännern in der Smokers Lounge. Also besser weiter jetzt. Aber wohin? Florian empfiehlt das One Trick Pony. Dort mixen ehemalige, mehrfach mit mixology-Preisen dekorierte Kollegen. „Wir arbeiten ja eher klassisch. Die dagegen gehen kreativ durch die Decke.“

Der Weg führt durch die enge Puppenstuben-Altstadt, in der die Fassaden wie gütige Großmüttergesichter auf mich herablächeln. An einem Wurststand hole ich mir eine Lange Rote, die der Lonely Planet ebenso preist. Ich gehe, kaue und merke, worauf ich später werde aufpassen müssen: Im Wirrwarr der schmalen, jede zweite Gassenmitte durchgluckernden „Bächle“ können sich Sperrstundentrinker auf dem Rückzug prima den Knöchel brechen.

Dann stehe ich vor einem Geschäft mit Cocktail-Zubehör. „We drink and we know things“ raunt eine retrofuturistische Typo in Magenta. Ich brauche ein bisschen, bis ich neben der Ladentür den Eingang zum One Trick Pony entdecke. Schnurgerade wie eine Notrutsche führt er in eine kavernenhafte, von Psychadelic Disco durchwummerte Tiefe.

Wieder sitze ich in den Eingeweiden der Stadt. Wieder Bruchsteinwände, wieder Schummerlicht. Jetzt muss die Bestellung den Unterschied machen. Ich wähle Smokie and the Bandit, einen von 25 Signature Drinks: Scotch, Mezcal, Zitrone, Ingwer und Poblano-Chili. Freundlich wie eine Fanta leuchtet er im Tumbler. Bestenfalls der amulettschöne Eiswürfel lässt vermuten, dass Großes folgt. Ich trinke an und bin baff: Eine harzige Finsternis flutet meinen Mund, beschwört ein ledriges, entfernt fruchtiges Aroma herauf und mündet in ein rauchiges Grollen, dem ich lange nachsinne. Ich assoziiere Black Metal, die Skulpturen von Jonathan Meese, Clint Eastwood am Steuer eines Dodge Challenger. Von wegen Fanta. Das ist ein flüssiges Kunstwerk. Jetzt verstehe ich erst die Gäste. Sie führen ihre Gläser so wägend zum Mund, als handele es sich um einen Laborversuch. Und so ist es ja fast. Beim Gespräch mit den Cocktail-Geeks hinter dem Tresen ist die Rede von Umwälzthermalisierern, Zentrifugen, Vakumiermaschinen und Rotationsverdampfern – Gerätschaften der alchemistischen Alkoholküche, in der sie ein Stockwerk höher an neuen Drinks tüfteln.

Zum Abschluss will ich aber noch einmal richtig Remmidemmi. Immerhin bin ich in Deutschlands zweitjüngster Großstadt. Ich frage eine Aushilfe mit Punkfrisur wo ich klassisch versumpfen kann. Im Swamp, sagt sie. Klingt überzeugend.

Entlang einer Ausfallstraße lässt Freiburg all die Lädles und Stübles seiner Altstadt hinter sich. Sogar richtige Wohnblocks tauchen auf. Gegenüber der Betonburg der lokalen Brauerei betrete ich das Swamp – und denke: Och nö. Pärchen sitzen im ockerfarbenen Lichtdunst an vollbesetzten Tischen und flüstern auf sich ein. Die Musik ist zu leise, die Stimmung gleicht der einer Aussegnungshalle. Prompt erzählen mir die Raucher vor der Tür vom kürzlichen Tod des Swamp-Besitzers, einer legendären Szene-Größe. Sie ziehen in den Laden nebenan, und ich ziehe mit.

Als ich dann im Flamingo stehe, sendet mein Partyecholot ein dreifaches „Yeah!“ Die Peitsche knallt am Ende, so muss es sein. Die Bars waren gustatorische Erkundungsfahrten, in diesem Dekorationsexzess aus Omamöbeln, schwarzen Anarchosternen, Brokattapeten und Punkplakaten gibt’s was zu gucken. Rage Against the Machine bolzt aus den Boxen, es herrscht brausendes Durcheinander. Mädchen lachen laut und derb und werfen ihren Bewunderern die Locken ins Gesicht. Soziologiestudenten brüllen sich ihre intellektuellen Gymnastikübungen ins Ohr. Jemand spielt Luftgitarre, als kopuliere er mit einer Motorsäge.

Das Flamingo selbst ist Cocktail genug, hier muss Bier her. Und das Pils passt perfekt. Herb, süffig und unprätentiös landet es Tulpe für Tulpe auf meinem Stehtisch. Der Scheitelpunkt der Nacht ist längst überschritten. „Einen Kater verhindert man nur durch weitersaufen“, rät irgendwann einer meiner neuen Trinkkumpane. Auf seinem Shirt erkenne ich Che Guevara mit Bollenhut. Ich halte kurz inne. Dann haue ich ihm auf die Schulter und verabschiede mich. Da draußen lauern ja noch die Bächle.