Danke für den Tee
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Danke für den Tee

DIE ZEIT, Nr. 19/2015

Danke für den Tee

Auf ihren Reisen durch Nepal begegneten unsere Autoren immer wieder besonderen Menschen. Hier erzählen sie, an wen sie jetzt denken, in den Tagen nach dem Erdbeben.

Nurbu, der stumme Bergführer

 

Er hieß Nurbu und sah aus wie ein sonderbar vergreistes Kind. Sein Blick war stumpf, seine Lippen zwei dünne Striche. Von den Guides, die unsere Trekkinggruppe zum Basislager des Makalu führten, war er der wortkargste. Manchmal fragten wir uns, ob er überhaupt sprechen konnte. Mit seinen zwanzig Jahren hatte er schon Bergsteiger auf den Gipfel des Mount Everest gebracht; und seine Kollegen sagten, er sei seitdem nicht mehr ganz richtig im Kopf – vielleicht wegen des Sauerstoffmangels.

Erst als wir die eisige Mondlandschaft rund um den fünfthöchsten Berg der Welt hinter uns ließen und das Hellgrün junger Reisfelder in den tieferen Lagen zu leuchten begann, huschte der Schimmer eines Lächelns über Nurbus Gesicht. Ich wusste, dass sein Zuhause irgendwo in der Nähe lag, und bat ihn um einen Abstecher. Ich wollte sehen, wie er lebt.

Bald darauf betraten wir eine Bauernkate an einem Hang. Sehnige Alte und Jüngere in zerrissenen Fußballtrikots kauerten auf dem Erdboden im Halbdunkel. Kein Lächeln, kein Willkommen. Der wortlos überreichte Buttertee schmeckte ranzig. Ich schlürfte ihn übertrieben laut, um die Stille zu übertönen. In der einen Ecke standen drei Ziegen. Sie waren so kurz angeleint, dass sie weder richtig stehen noch liegen konnten. In der anderen wälzte sich ein von Fliegen übersätes, offensichtlich behindertes Kleinkind, das niemand beachtete. Es war die Tochter von Nurbu. Obwohl er drei Wochen fort gewesen war, begrüßte er weder das Kind noch seine Frau im Teenageralter. Als wir spätnachmittags unsere Tour fortsetzten, sah ich mich noch einmal um. Über der Einsiedelei waberte jetzt der Qualm von Holzfeuern. Ein Hund bellte heiser. Und vom Himalaya kroch beißende Kälte herab.

Nurbus Dorf liegt etwa eine Flugstunde östlich von Kathmandu, weit entfernt vom Epizentrum des Bebens. Wahrscheinlich ist ihm nichts passiert.