Gotik für Gentlemen
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Gotik für Gentlemen

DIE ZEIT, Nr. 44/2015

Gotik für Gentlemen

 

Im Kölner Stadtarchiv von 1897 steckt nun ein Boutique-Hotel. Der Betreiber hat es nach dem eigenen Lifestyle-Magazin benannt – und entsprechend ausgestattet.

Dass Köln keine Schönheit ist, geben Kölner zu. Doch es kümmert sie nicht weiter. Ihre Stadt sei halt ein Gefühl. Aber was macht jemand, der in dieses größte aller Kölner Mantras nicht einstimmen mag? Der verzweifelt am architektonischen Tohuwabohu. Wie der Gast auf dem Weg zum gebuchten Hotel. Irgendwann durchmisst er eine letzte Gasse – und hält verblüfft inne. Ist das noch dieselbe Stadt? Mitten im Klinkerchaos öffnet sich ein platanenbeschattetes, von Sandsteinfassaden gerahmtes Geviert. Man hört das Insektengeräusch einer fernen Vespa, dann herrscht poetische Ruhe. Es ist, als habe der Platz sich hierher geflüchtet. Kein Wunder, dass sich das Hotel The Qvest im Beinamen ein hideaway nennt.

Den Anspruch, Versteck zu sein, nimmt es ernst. Nicht nur, dass seine Webseite auf Appetitmacherprosa verzichtet und lediglich Kontaktdaten bietet; auch wer direkt davorsteht, erkennt kaum die Lettern, die den Prachtbau als Hotel ausweisen. 1897 im neogotischen Stil als Stadtarchiv errichtet, ging er später an einen Versicherungskonzern und stand nach dessen Auszug leer. Vor einem Jahr eröffnete das Haus als Boutique-Hotel.

Der erste Eindruck im Inneren ist nahezu sakral: Licht strömt durch eine Fensterrose, aus Marmorsäulen wachsen schlanke Rippengewölbe. Dann fallen die Brüche auf. Eine Stehleuchte, die aussieht wie ein Zyklopenauge auf einem Kamerastativ; orchideenbestückte Reagenzgläser; oder ein paar zeitlos schnittige Sessel von Mies van der Rohe. Sie stammen aus der deutschen Botschaft in London, verrät der Vollbartmann in Skinny Jeans hinter der Rezeption. Er und seine Kollegen wirken eher wie Galerie- als wie Hotelmitarbeiter. Und das nicht nur optisch: Sie kennen alle Anekdoten, die sich um die Objekte ranken.

Die meisten Möbel sind Designklassiker aus den fünfziger und sechziger Jahren und verbinden sich mit den klaren Formen der Gotik zu einer lichten Coolness. Man verfällt ihr sofort. Auf dem Weg zum Zimmer kommt man an der Lounge vorbei – und will gleich einen dieser F51-Sessel ausprobieren, die Walter Gropius für das Direktorenzimmer im Bauhaus Weimar entwarf. Oder den berühmten D4-Klappstuhl von Marcel Breuer. Oder den Eames Lounge Chair, in dem man so präzise sitzt wie in einem Rennwagen.

Zwei honiggelbe Exemplare stehen auch im Zimmer, das mit sechs Metern Deckenhöhe und gewaltigen Bogenfenstern eins der schönsten ist. Jedes Mal beim Türöffnen glaubt man, Don Draper aus der Fernsehserie Mad Men sei schon drin und reiche einem gleich einen Manhattan. Gentleman-Chic, wohin man schaut: Das Eichenparkett ist mattschwarz lasiert, Designerleuchten stehen da wie Chrom gewordene Kraniche, ein muralgroßes Gemälde zeigt balgende Menschen in einem Wald. Das Bad wird durch bewegliche Holzparavents vom Raum abgetrennt. Stößt man sie an, fächern sie sich auf und geben den Blick frei auf glanzschwarze Kacheln und einen schwarzen Marmorwaschtisch mit der Maserung eines japanischen Kobe-Steaks.

„Ein Service für Leute mit Geschmack“

Damit nichts die Aura stört, gab es anfangs keine Fernseher, sondern nur Designbände und Ausgaben der Hochglanzzeitschrift Qvest, die hier überall ausliegt. Das Lifestyle-Magazin wurde lange vor dem Hotel gegründet und verfügt zusätzlich über einen Katalog, in dem man all die schönen Dinge bestellen kann, die das Heft und das Qvest hideaway füllen. Man fühlt sich ein wenig benutzt. Sieht man im Gast etwa eine Art Versuchskaninchen, das seinen Stall kaufen soll?

„Ach was“, sagt Hotelbetreiber Michael Kaune, der das Qvest-Magazin 2011 übernommen hat. Der Mittvierziger trägt einen silbernen Dreitagebart und ein kluges Lächeln, seine nackten Füße stecken in teuren Pferdelederschuhen. „Als Hotelhopper habe ich oft nach Stücken gefragt, aber keiner konnte mir sagen, wo ich sie kriege. Es ist einfach ein Service für Leute mit Geschmack.“ Dass der Service zuallererst ein Geschäftsmodell ist, irritiert nur zu Anfang. Mit der Zeit weiß man nämlich die Hintergrundinformationen aus dem Katalog und den Heften zu schätzen: Sie bringen einem die Objekte näher.

Der Werber und Galerist zeigt dann einige der 34 Zimmer, meist sparsam möblierte Räume im virilen Industriedesign. Man wandelt durch die Salon-Suite mit Piano, Bar und Vinyl-Plattenspieler. Und wundert sich über ein düster-erratisches, fast fensterloses Zimmer mit nachtblauen Vorhängen wie aus einem Film von David Lynch. Dass ein Drittel der Möbel aus Kaunes Privatsammlung stammt und er alles selbst eingerichtet hat, glaubt man gleich. Es ist, als habe ein Mann mit einem großen Puppenhaus gespielt.

Die Drinks nimmt man in der Bar, wo Hollywoodstars von hechtgrauen Filzwänden schauen. Es sind Fotografien des Amerikaners George Holz. Auch die kann man kaufen. Obwohl die Bar Nicht-Hotelgästen offensteht, ist ansonsten nur ein melancholischer Smartphonewischer zugegen. Vielleicht sollte das Marketing doch mehr trommeln? Kaune widerspricht. Er setze lieber auf den Werbeeffekt distinguierter Stammgäste.

Zurück im Zimmer, ertappt man sich beim kindischen An- und Ausknipsen der Lichter. Die kleinen oldtimerschönen Chromhebel klacken so herrlich satt. Es ist einer der Momente, in denen man Kaune dankbar ist. Er hat, was der Stadt fehlt: den am Detail geschulten Blick fürs Ganze.

Am Frühstückstisch sitzt man dann allzu zeitig: Um Punkt sieben Uhr erdröhnen die Glocken der gegenüberliegenden Kirche St. Gereon und bringen einem die Schädeldecke zum Vibrieren. Unverkatert, aber mit leichter Klerikalvergiftung isst man in der Bar. Der feinsinnige Herr Kaune hat einen nun so weit, dass man unter die Teller schaut, um den Hersteller zu lesen. Dann blickt man durch die bleiverglasten Fenster nach draußen und sieht Menschen mit herzförmigen Heliumballons auf das Hotel zustreben. Die werden doch nicht …? Nein, sie ziehen vorbei. Für einen Moment stellt man sich Don Draper auf einem Kindergeburtstag vor. Und schüttelt distinguiert den Kopf.