Herberge mit Blog-Room
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Herberge mit Blog-Room

DIE ZEIT, Nr. 26/2015

Herberge mit Blog-Room

 

Außen wie ein Palast, innen wie ein U-Boot: Im belgischen Gent hat sich das einstige Redaktionsgebäude einer sozialistischen Tageszeitung in ein Hostel verwandelt.

Wie sieht ein Haus aus, dessen Nutzer die Welt verändern wollen? So zum Beispiel: Auf einem schwarzen Sockel wuchtet sich roter Klinker in die Höhe und fasst eine Front gläserner Erker mit messerscharfen Kanten ein. Am Rand strebt ein transparenter Turm gen Himmel, gekrönt von einer Fahnenstange. Davorstehen und reinwollen sind eins. Schön, dass man sogar darin wohnen kann.

Der Art-déco-Palast liegt im belgischen Gent und war bis 1983 das Quartier der sozialistischen Zeitung Dagblad Vooruit („Tageblatt Vorwärts“). Nach dessen Einstellung und einem Intermezzo als Kulturzentrum ist das Gebäude nun als Backstay Hostel wiederauferstanden. Die Betreiberfirma Upgrade führt Studentenwohnheime im ganzen Land – und jetzt auch diese Herberge. Das Haus aus dem Jahr 1930 gehört zu Gents knapp 9.800 Baudenkmälern. Man wolle die ursprüngliche Atmosphäre bewahren, sagt eine Firmenbroschüre, aber so trendy sein wie das 21. Jahrhundert. Ob das gelingt?

Wer die Lobby betritt, wähnt sich zunächst in einer anthroposophischen Bank: Sonnengelbe Säulen ragen aus einem Mosaikfußboden mit revolutionsrotem Spiralmuster, rechts steht eine Art-déco-Schalterwand. Früher wurde in der Vorhalle der Publikumsverkehr geregelt, heute lümmeln Traveller in Chucks auf lustigen Sitzsäcken. Geht man weiter zur Bar im rückwärtigen Teil des Erdgeschosses, passiert man Fotos aus dem einstigen Journalistenalltag. Die Theke ist mit alten Drucklettern beklebt, von der Decke baumeln Globen. Es ist drei Uhr nachmittags, das Zimmer noch nicht fertig. Zeit für einen Rundgang.

Ein Mitarbeiter zeigt zuerst den „Blog-Room“ oben im Glasturm, ein enges, von Oberlicht weihevoll beleuchtetes Zimmer. Auf einem Jugendstilpult stehen eine alte Schreibmaschine und ein Computer. Der Blog-Room ist offen für alle, die ihre Gedanken im Internet posten oder in die klapperige Maschine hacken wollen. An der Wand hängen Zettel voller Bonmots aus der schwarzen Royal. „Have wings not things!“, empfiehlt eine Cathy aus Australien.

Dann geht es, teils über Marmortreppen, zu den drei Etagen, auf denen sich mehr als ein Dutzend Schlafsäle (mit 4 bis 15 Betten) sowie drei Doppelzimmer verteilen. Jeder Raum trägt den Namen einer Zeitung: Le Monde, New York Times, La Stampa. Ein Schlafsaal ist der ZEIT gewidmet. Er ist so funktional wie ein U-Boot: Außer schwarzen Spinden und zwei orangefarbenen Dreierstockbetten gibt es kein Mobiliar. Wer oben schläft, muss an glatten Planken mit viel zu schmalen Schlitzen hochklettern: Die Füße finden kaum Halt. Man denkt an die „Beer Games“, die jeden Samstag in der Bar abgehalten werden, und fragt sich, wie viele Schläfer hier schon am nächtlichen Toilettengang gescheitert sein mögen.

Glücklicherweise hat man selbst einen „Private Room“ gebucht – um die Annehmlichkeiten eines Doppelzimmers ebenso genießen zu können wie den jugendlichen Trubel drum herum. Doch das „Wall Street Journal“ ist kammerklein, hat weder Bad noch Klo, und die Betten muss man selbst beziehen. 64 Euro pro Nacht und Zimmer? Ein Schnäppchen ist das nicht. Immerhin verbreitet die Dachschräge etwas Studentenromantik. Wer mehr Animation will, kann sie sich selber malen: In allen Räumen und Gängen sind Tafeln mit Kreidebehältern angebracht. So bekämpfe man den Vandalismus, sagt der Mitarbeiter. Abstriche bei der Originalität nimmt man in Kauf. „Groetjes uit Brabant!“ist zu lesen, oder: „Brügge, Antwerpen, Gent: Bier!“

Das möchte man nun in der „Traveller Zone“ trinken, einer Lounge mit Riesensofa, Klavier und Kicker zwischen Backsteinwänden. Anspielungen aufs alte Presse-Ambiente sucht man hier vergebens – und vermisst sie ein bisschen, so gut passen Jugendkultur und Historie sonst zusammen. Gemäß Hostelcredo kommen sich in der „Traveller Zone“ locals“ und Reisende nahe. Aber außer Janis Joplin ist keiner da. Und auch die nur auf CD. Also hinaus in die Altstadt.

Die ist ein steinernes Wunder. Spanier, Burgunder, Franzosen, Habsburger – alle haben architektonische Preziosen in die Stadt gestopft. Am Schluss landet der Gast im Trollekelder, wo es 200 belgische Biere gibt. Weit nach Mitternacht erlahmt der Ehrgeiz, alle zu probieren. Auf dem Heimweg steht man staunend vor dem Backstay: Die illuminierte Herberge badet in Gold. Dann ins Bett. Dort liegt man fast auf dem Boden. Aber fluffig wie auf einer Schaumkrone.

Die Dusche am Morgen nervt: Alle 40 Sekunden muss man neu auf den Knopf drücken. Dazu hat Pech, wer seinen Kater mit kaltem Wasser verjagen will: Die Temperatur beträgt unverstellbare 38 Grad. Außerdem lässt der Strahl nach zehn Minuten deutlich nach. Nun hau schon ab, lautet die Botschaft.

Die Bevormundung endet beim Frühstück. Hier muss man alles selber machen. Fair gebrühten Kaffee aus der Maschine drücken. Eier kochen. Teig in piepsende Waffeleisen schmieren. Etwas bourgeoiser Komfort wäre jetzt ganz angenehm. Aber für den muss die Internationale der Traveller wohl erst gewonnen werden. Ob man’s gleich im Glasturm posten soll?