Hütte mit Zauber
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Hütte mit Zauber

DIE ZEIT, Nr. 1/2021

Ein-Zimmer-Hotels: Bitte nicht stören

Ein-Zimmer-Hotels haben weder Spa noch Bar. Dafür kann man sich in ihnen wunderbar absondern. Fünf Unterkünfte mit eingebauter Exklusivität

Hütte mit Zauber

 

In den Hütten wohnt das Glück, sagen die Schlösser. Wirklich? Irgendwann bezweifle ich diesen Sinnspruch an der Wand. Im Hotel Trafohaus kann man nämlich alles haben. Die Hütte. Das Schloss. Und das Glück sowieso. Aber der Reihe nach.

Als ich im Solinger Stadtteil Gräfrath aus dem Auto steige, wundere ich mich. Wo ist denn der Betonkult der City geblieben? In einer Senke winden sich Gassen durch ein Auf und Ab schmucker Schieferhäuser. Nur meine Herberge tanzt aus der Reihe. Halb Tempel, halb Denkmal erhebt sich die frühere Umspannstation des Viertels aus einem kleinen Park. Im Café des Besitzers Peter von der Heiden hole ich mir den Schlüssel und schließe auf. Erst dabei merke ich, dass der Schlüssel an einem Messergriff hängt. Stimmt ja. Solingen, die Klingenstadt.

Drinnen ziehe ich mir spontan die Schuhe aus. Kaum zu fassen, wie sehr einen dieser Raum willkommen heißt. Es ist, als habe er sich auf mich gefreut, nicht umgekehrt. Gusseiserne Regale versuchen eine kreuz und quer gestapelte Flut von Büchern zu bändigen. In denen muss eben noch einer geschmökert haben. Vielleicht war es ja Peter, der hier elf Jahre zwischen Büsten, Boulekugeln und Buddha-Statuen wohnte. Vor dem Kamin steht eine kardinalrote Chaiselongue, in der Kochnische hängt die Lithografie einer Besteckkollektion – damit sind einst die Schneidewaren-Vertreter durchs Land gezogen.

Später sitze ich vor den knackenden Flammen. Der Rotwein tut sein Werk, mehr Hüttenzauber geht nicht. Zugleich fühle ich mich als Schlossherr in diesem Industrie-Neuschwanstein auf nur 20 Quadratmeter Fläche. Das liegt an der Raumfülle des himmelwärts gejubelten Turms: Stahltreppen und Klettersteige führen zehn Meter hoch bis in seine Spitze. Wer sich rauftraut, kann von dort den Gräfrathern aufs Dach schauen.

Auf halber Höhe thront eine Empore mit dem Bett. Als ich am Morgen darin aufwache, fühle ich mich wie ein Vogel im Nest. Ich hole das Frühstück, das Peter im Eingang abgestellt hat, und genieße das Schweben zwischen oben und unten wie die Reste eines Traums, während sakrales Licht durch eine Fensterrose fällt. Richtig wach machen mich dann AC/DC. Lauter als im Solitär des Trafohauses kann man eine Stereoanlage nirgends aufdrehen. Erst nach einigen Luftgitarre-Soli gebe ich den Schlüssel mit dem Messergriff zurück – sehr ungern: Die Klinge steckt mir jetzt im Herzen.