Kanzlergipfel
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Kanzlergipfel

DIE ZEIT, Nr. 52/2019

Über Nacht in Königswinter

Kanzlergipfel

 

Das prunkvolle Gästehaus der Bundesregierung beherbergte einst die Queen. Beim Ausblick auf das Rheintal entwickelt man auch als einfacher Gast staatsmännische Gefühle

Ertönt gleich die Nationalhymne? Stilgerecht wär’s. Bei meiner Ankunft vor dem Grandhotel Petersberg öffnet man mir den Wagenschlag, als sei ich mit einem Maybach statt in einem Taxi angereist. Dazu weht die Deutschlandfahne auf dem Dach. Die konnte ich schon von Königswinter aus sehen, diesem Bonner Vorort im Rheintal, über den der Hotelpalast so herrlich hochmütig hinwegblickt.

Die einzige deutsche Herberge in Staatsbesitz war bis 2001 das Gästehaus der Regierung und ist auch heute noch mitunter Kulisse der Weltpolitik. Kürzlich wurde sie für gut 40 Millionen Euro renoviert. Die Lobby versammelt alle Zeichen von Hotelgrandezza: Kristalllüster, Blumengestecke, viel Gold, Messing und Marmor. Selbst der hohe Ton des Begrüßungsgeplänkels am Empfang verströmt Distinktion. Passt schon. Ankumpeln lassen kann ich mich woanders.

Mein Zimmer ist gedämpfter Luxus in Beige, Blau und Maulwurfsgrau. Leicht vorhersehbar, wie ein Azorenhoch, aber angenehm. Der ernsthafte Charme von Dingen, die nichts als gut und teuer sind: Der Teppich mit dem Blattmuster fühlt sich an, als versänke ich in Laub, die Lederpolster über dem Bett reichen bis zur Decke. Ich sehe durch das kugelsichere Sprossenfenster. Tief unten gleißt der Rhein wie eine Intarsie aus Perlmutt. Ein Zug kriecht mit raupengleicher Langsamkeit aus einem Bahnhof. Und am Horizont stehen die Dampfsäulen des Rheinischen Braunkohlereviers. Ein Panorama für Staatenlenker: So modellhaft müssen die sich die Welt vorstellen.

Das Hotel erzählt von einer Zeit, als die Westdeutschen sich am Glanz ihrer noch jungen Republik erfreuten und die Queen mit sechs Tonnen Tafelsilber anrückte. Im turnhallengroßen Salon Adenauer machte der frisch gewählte Kanzler 1949 seinen Antrittsbesuch bei den Alliierten. Aus Kalkül betrat er den Teppich, der vom Protokoll als symbolische Trennlinie zwischen Siegern und Geschlagenen vorgesehen war. Kurz darauf handelte er das Petersberger Abkommen aus und ebnete damit Westdeutschland den Weg zur Souveränität. Die Geschichte passt zum listigen Indianergesicht Adenauers, das in knalligen Farben von allen Wänden leuchtet und den Salon vor musealer Steifheit bewahrt.

Am Abend ist Nelson’s Bar gut besucht, benannt nach Nelson Mandela und dekoriert mit afrikanischen Fotomotiven von Dieter Blum. Der zählte zum Jetset der 1970er-Jahre – und das Publikum wirkt fast, als spiele es diese Ära nach: der Franzose, der Hosen in Veuve-Clicquot-Orange trägt; das Ehepaar mit weißen Seidenschals, das sich gegenseitig aus der FAZ vorliest; und der kubanische Barkeeper, der seine Bewegungen so effektsicher beherrscht, als sei er von einer Filmfirma gecastet worden und müsse Sean Connery als James Bond bedienen.

Dass ich am nächsten Morgen schwer zum Frühstück finde, liegt jedoch nicht an seinen Drinks. Die Hotelanlage ist im Inneren verwinkelt wie ein Termitenbau. Zum Glück gibt es Wegweiser. Sie führen mich durch einen riesigen Glaspavillon, in dem Joachim Gauck einmal der Fürstin von Monaco kapital aufs Abendkleid latschte. Als ich endlich in Bill’s Restaurant – gemeint ist natürlich Bill Clinton – auf mein Frühstücksei klopfe, habe ich das Gefühl, das Hotel sei vom Autor eines Gesellschaftsromans erdacht worden und fülle sich nun mit den Protagonisten. Ich beobachte einen etwas zu gut aussehenden Vater, der seinem etwas zu gut aussehenden Sohn erklärt, welches Besteck wann dran ist.

Nach dem Frühstück wandere ich rings ums Hotel. Immer wieder weicht der Wald und gibt den Blick frei auf die Burg Drachenfels, die dasteht wie eine Wagneropernkulisse. Zugleich fällt mir Leonid Breschnew ein: Als der sowjetische Generalsekretär 1973 auf dem Petersberg gastierte, probierte er sein Gastgeschenk aus – und fuhr das Mercedes-Cabrio in einer der Zufahrtskurven zu Schrott.

Am Nachmittag warte ich in der Lobby auf mein Taxi zurück ins Tal. Als es kommt, verabschiede ich mich an der Rezeption mit huldvollem Winken. Und erschrecke über mich selbst. Was soll diese Pose? Der Petersberger Habitus hat mich wohl endgültig erwischt. Jeder Schritt ist ein Schreiten, jede Geste zu groß. Auf jeden Fall zu groß für das normale, beifallslose Leben, das jetzt da drunten auf mich wartet.