Ruhig Blut
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Ruhig Blut

DIE ZEIT, Nr. 43/2014
Ruhig Blut

 

In der Stierkampfarena von Almadén ist heute das Hotel Plaza de Toros untergebracht. Tiere kommen hier kaum noch zum Einsatz – stehen aber auf der Speisekarte.

Die Morgensonne taucht das Restaurant in lebensfrohes Gelb. Löffel klimpern, Stimmen hallen, eine Espressomaschine zischt geschäftig. So klingt es, wenn einen der Tag wiederhat. Doch warum wird der Gast das Gefühl nicht los, im Schatten eines Unheils zu frühstücken? Es muss an Torilero liegen. Pechschwarz prangt der tote Kampfstier an der Wand über dem größten Tisch und verströmt eine düstere Autorität. Kopf und Hals der Trophäe besitzen das Ausmaß einer Truhe, die Hörner sind martialische Bajonette. Dass das Monstrum so verstört, hat jedoch einen anderen Grund. Es ist der Blick aus seinen Glasaugen, in dem sich der „Moment der Wahrheit“ zu spiegeln scheint. So nennen Stierkampf-Aficionados jenen Akt, bei dem der Matador den Degen hinter die Schulterblätter des Tieres stößt und seinen Tanz mit 500 Kilo gehörnter Wut beendet. Oder bildet man sich das ein? Sind hier nur die Nachwehen eines schlechten Traums am Werk? Nein. Der finstere Torilero, der um des Tötens willen getötet wurde, erinnert einen wahrhaftig daran, wie zerbrechlich unser Leben ist.

Ob das Memento mori beim morgendlichen Croissanttunken Absicht ist, lässt sich schwer sagen. Doch passen würde es. Das Restaurant, das neben Stierköpfen auch goldstarrende Bolero-Jäckchen und rosa Torerostrümpfe hinter Glas ausstellt, ist Teil des Hotels Plaza de Toros in Almadén. Als einziges Hotel Europas befindet es sich in den Mauern einer Stierkampfarena. Die stammt aus dem Jahr 1752 und zählt zu den ältesten Spaniens. Von Madrid aus erreicht man den Ort nach dreistündiger Fahrt durch eine Steppenlandschaft im Südwesten von Kastilien-La Mancha. Dort thront der weiß gekalkte, sechseckige Bau wie eine Trutzburg im Zentrum des 6.000-Einwohner-Städtchens.

Der Weg vom Frühstücksraum zu den Zimmern führt schräg über den zimtfarbenen Sand der Arena. Dabei kann es passieren, dass dem Gast unversehens das Pathos in die Glieder fährt, als höre er die Rhythmen von Ravels Bolero; dass seine Haltung sich strafft; sein Mund zu einer kühnen Schnute wird; und seine Schritte den hochmütigen Gang eines Toreros imitieren. Er wäre dann bestimmt nicht der Erste, der in der Platzmitte dem Drang nachgäbe, ein paar Stierkampffiguren mit seinem eigenen Schatten zu probieren. Verstärkt wird der Kitzel von den Schutzplanken ringsum. Ihr Anstrich erinnert an geronnenes Blut und passt perfekt zum Dunkelblau des Himmels und zu den weißen Bögen der zweistöckigen Tribüne. Auch wenn die Ränge leer sind, machen sie glauben, unter Beobachtung zu stehen.

Dass im Plaza de Toros spanische Rustikalität regiert, wird spätestens im umlaufenden Hotelgang auf der zweiten Etage deutlich. Dunkle Holzstreben ragen aus unverputzten Mauern, Stühle mit steilen Lehnen stehen herum, die Absätze knallen auf Steinfliesen. Und in den 24 Zimmern geht es so weiter. In der Suite muss man aufpassen, sich die Stirn nicht an gewaltigen Stützbalken zu stoßen, bevor man das Himmelbett oder die feierlichen Ohrensessel erreicht. Die Läden der Fenster zur Straße hin gleichen Burgtoren, die Tischplatte ruht auf gusseisernen Beinen. Doch dann fällt auf, dass sie nur Furnierholz tragen. Die Minibar ist leer, im Schrank langweilt sich ein einsamer Drahtbügel. Das Bad verfügt über ein Bidet, aber kein Duschgel. Man findet nur ein Tütchen Shampoo, das einen nach Kölnisch Wasser riechen lässt wie eine strenge Señora.

Aber was soll’s. Hier fügt man sich ins Schlichte. Alles Kapriziöse scheint eher in die Arena zu gehören. Die sieht man von den Zimmern aus nur durch ein winziges Fenster neben der Tür. Doch über den Gang erreicht man sofort den oberen Tribünenrang, der sozusagen mitbewohnt wird. Dort kann man sich im Abendlicht mit einer Flasche Wein niederlassen und in majestätischer Trägheit auf die Plaza schauen. Dass dort nichts passiert, spielt keine Rolle – die Einbildungskraft springt ein. Sogleich erscheinen vor dem inneren Auge die Gehilfen des Matadors, die den Stier zu Beginn des Kampfes provozieren; die Picadores und die Banderilleros, die das Tier mit Lanzen und Spießen aufstacheln; dann das Todesballett von Stier und Matador, dessen Putz so eitel blitzt; und am Schluss der erlösende Moment der Wahrheit. Solche Träumereien gehören schon deshalb zur Welt des Stierkampfs, weil diese sich von Fantasien nährt. Die großen Kämpfe, von Fans immer wieder beschworen, existieren fast nur als Wunschvorstellung. Die Realität ist oft stümperhaftes Gemetzel. Schon der Stierkampfliebhaber Hemingway meinte, dass neun von zehn Stieren einfach nur „abgemurkst“ würden, weil vielen Matadoren das „spirituelle Hochgefühl“ beim Töten fehle.

Auch Pablo Hernández ist ein Aficionado. Darum hat der struppig ergraute, Don-Quijote-haft hagere Mann mit zwei Kompagnons das 2003 eröffnete Hotel vor drei Jahren gepachtet und zu einem Viersternebetrieb aufgerüstet. Was nicht bedeutet, dass hier jemand Englisch spräche. Sonntags sitzt Pablo an der Rezeption, die etwas unglücklich zwischen die Hotelpforte, einen Arenazugang und die Treppe zu den Zimmern gequetscht wurde. Auch für die zwei Stierkampfgemälde im Entree bleibt kaum Platz. Sie kopieren Picassos Stil auf fast dreiste Weise. Doch wer sie länger betrachtet, merkt den Unterschied: Während der berühmte Maler den Stier stets in seiner edlen Zerstörungskraft darstellte, zeigen diese Bilder ein Wesen in Todesangst, das von Frauengesichtern mit riesigen Augen betrachtet wird. Deren Blicke wirken apathisch, als wohnten sie einem unausweichlichen Fatum bei.

Heute gibt es in Almadén nur noch zwei Kämpfe pro Jahr. Allein für die sechs Bullen, die eine Corrida benötigt, verlangen Kampfstierzüchter mindestens 20.000 Euro. „Das macht den Eintritt für die meisten zu teuer“, sagt Pablo, während er die Arena zeigt. Dafür fänden hier Theateraufführungen und Konzerte statt; und Torerokurse für Touristen, bei denen eine gehörnte Schubkarre das Tier ersetzt. Dann schließt Pablo die Kapelle auf, in der die Toreros vor dem Kampf beten. Sie hat den Charme einer Garage. Das Gleiche gilt für die Sanitätsstation: Eine Kunstlederliege, weiße Schränke, ein schiefer Infusionsständer – der Raum wirkt wie ein Überrest aus dem Bürgerkrieg. Man denkt an die gefährlichen Arterienverletzungen, die Toreros oft erleiden, und ist erleichtert, zu hören, dass während der Kämpfe Krankenwagen vor dem Portal parken.

Zum Abendessen gibt es Rabo de Toro

Im blanken Mauerwerk der Wände sind immer wieder dunkle Flecken zu sehen: Spuren von Zinnober, von jenem Gestein, dem die Stierkampfarena und ganz Almadén ihre Existenz verdanken. Die Spanier verwandten es – wie Araber und Römer vor ihnen – zur Gewinnung von Quecksilber, mit dem sie das Gold ihrer südamerikanischen Minen amalgamierten. Viele der Arbeiter erkrankten allerdings an den hochgiftigen Quecksilberdämpfen. Darum musste im 18. Jahrhundert ein Hospital her. Um das zu finanzieren, baute man zunächst die Stierkampfarena. Sie warf nicht nur durch die Eintritte zu den Corridas Geld ab, sondern auch durch die Vermietung von Arbeiterwohnungen im Mauerring. 1773, zwanzig Jahre nach der Einweihung der Arena, konnte das Königliche Bergmannhospital von San Rafael die ersten Patienten aufnehmen. Die Räumlichkeiten der einstigen Arbeiterwohnungen waren es, die sich mehr als zwei Jahrhunderte später in Hotelzimmer umwandeln ließen.

Spaziert man heute durch Almadéns Gassen, vorbei an Kachelmosaikfassaden und Glockentürmen, Zweckarchitektur und aus der Zeit gefallenen Kramläden, dann läuft man zugleich über Stollen, die 700 Meter tief in die Erde reichen; vor ihrer Schließung 2003 befand sich im Ort die größte Zinnobermine der Welt. Man passiert Bars, aus denen das dürre Klappern von Dominosteinen dringt. Betagte Männer, die durch ihre riesigen Sonnenbrillen an den späten Franco erinnern, sitzen auf Bänken und schöpfen aus einem Gestenrepertoire von gemessener Würde. Ein Jäger holt eine Kiste erlegter Tauben aus dem Kofferraum seines alten Renaults. Ein Stück weiter palavern Rentnerinnen mit helmhaften Haarsprayfrisuren vor dem Vereinsheim der „Hausfrauenvereinigung“. Sie variieren das Wedeln mit ihren Fächern, als regiere sie ein nervöser Tick.

Die Bar Delicias hat Tische auf den Rathausplatz gestellt, jenes Rondell, auf dem Almadéns Corridas vor der Einweihung der Arena stattfanden. Die Stiere stürmten aus einer Seitenstraße durch das Tor des Rathauses, das noch heute El Toril genannt wird, „Stierzwinger“. Ein guter Ort, um Emilio Bresó zu treffen, einen Matador aus dem Nachbardorf. Er bestritt die jüngste Corrida in Almadéns Arena und wurde auf den Schultern hinausgetragen. Dass der 22-Jährige schon 150 Stiere getötet hat, macht ebenso schaudern wie sein rechter, von einer Hornwunde zernarbter Arm. Worum es beim Stierkampf geht? „Um die Dominanz des Toreros und die Überlegenheit des Menschen. Vor allem aber geht es um die Schönheit. Die Schönheit des Tötens“, sagt Emilio und zelebriert seinen stechenden Blick, als bewerbe er sich um eine Rolle in einem Spaghetti-Western.

Für das letzte Abendessen im Hotel kommt nur ein Gericht infrage: Rabo de Toro, das obere Schwanzstück eines Kampfstiers. Das Fleisch von 12.000 Bullen aus den spanischen Corridas landet pro Jahr in den Restaurantküchen des Landes. Das Bestellte, sagt der Kellner, stamme aus der Arena von Bilbao. Während der Wartezeit spielt am Nebentisch ein Junge im Ronaldo-Trikot Stierkampf: Unablässig lässt er zwei gestreckte Finger seiner linken Hand gegen eine Serviette anrennen, die er in der rechten hält. Der Stierschwanz kommt mit Wirbelknochen und in einer fetten Soße. Sein Fleisch ist ein Angriff auf jeden heiklen Gaumen: Es besteht fast nur aus glitschigem Bindegewebe. Man kaut und denkt wieder an Torilero. Vielleicht schmeckt ja so die Rache seiner Spezies an der Überlegenheit des Menschen.