19 Feb Wo es jetzt noch heiß ist
DIE ZEIT, Nr. 47/2015
Wo es jetzt noch heiß ist
Aufgüsse mit Bier sind prinzipiell möglich, Kurzsichtigkeit dagegen ist ein Problem: Zehn Wahrheiten über die Sauna.
Stimmt es, dass in der Sauna Politik gemacht wird?
Sublimes far niente ist das Gebot deutscher Saunakultur. Wer da mit Politik käme, könnte gleich Stinkbomben auf die heißen Steine schmeißen. Im Ludwigshafener Hallenbad Nord, wo Helmut Kohl sich regelmäßig mit Einheimischen zum Triefen einfand, waren politische Gespräche daher verpönt.
Finnen und Russen hingegen sind von einem anderen Schlag. Kohl erlebte das 1993 in einem Dampfbad am Baikalsee. Dort hockten er und Theo Waigel Backe an Backe mit Boris Jelzin und rangen um den Abzug der sowjetischen Truppen aus Ostdeutschland. Im Aufguss-Crescendo machten sie dem russischen Präsidenten klar, dass der sich die geforderten neun Milliarden Mark für seine vergammelten Kasernen in die Haare schmieren könne.
Warum das in der Sauna passierte, braucht man Russen nicht erklären. Bei ihnen gilt das Schwitzen als kathartisches Zeremoniell, als Übergangsritual, das die Makel der Außenwelt fortwäscht und vorbereitet auf einen neuen Status – sei es bei Hochzeiten, Begräbnissen oder heiklen politischen Fragen. Als Repräsentanten des einstigen Erzfeinds mussten Kohl und Waigel in der Sauna also erst einmal „entwestlicht“ werden, bevor man ihnen vertrauen konnte.
Der König der Saunadiplomatie war allerdings ein Finne: Bei 135 Grad saunierte Präsident Urho Kekkonen seine Gesprächspartner regelmäßig in Grund und Boden. 1960 traf es den Sowjetführer Nikita Chruschtschow, der mit einem „Nein“ zum Beitritt Finnlands in die Europäische Freihandelsassoziation nach Helsinki gereist war. Wieder und wieder schüttete Kekkonen zischendes Wasser nach. Als er Chruschtschow im Morgengrauen aus seinem Schwitzkasten entließ, hatte er dessen „Ja“.
„Die Sauna macht das Fleisch weicher“, sagen die Finnen. Und denken dabei an diesen Triumph.