Dresdens feiner Partykeller
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Dresdens feiner Partykeller

DIE ZEIT, Nr. 48/2008

Rock me, babe

Schlafen im Erdloch, trinken mit Twiggy und bei Mutter versacken – im „Indie Travel Guide“ geben Szenemusiker Tipps für ihre Heimatstädte. Unsere Autoren haben sich davon durch Hamburg, Nürnberg und Dresden führen lassen

Dresdens feiner Partykeller

 

Jede Stadt braucht ihre gute Stube, schon klar. Einen herausgeputzten Ort, an dem sie Gäste empfängt und stolz auf sich sein kann. Dresdens gute Stube ist der Neumarkt. Den Namen kann man wörtlich nehmen. Denn die frisch rekonstruierten Bürgerhäuser rund um das Replikat der Frauenkirche sehen aus wie frisch aus Zellophan gepellt. Auf dem Platz in der Altstadt lächeln Doppelgänger von August dem Starken in Touristenkameras, und Rentner mit Rucksäcken fragen sich gegenseitig, ob sie auch aus dem Sauerland kommen. Szenemenschen halten es hier keine halbe Stunde aus.

Müssen sie aber auch nicht. Denn Dresden hat einen veritablen Partykeller, die Äußere Neustadt. In diesem Viertel ballen sich auf dem Stadtplan des Indie Travel Guide die Tipps, als würden sie von einem Magneten angezogen. Die Empfehlungen stammen von Felix Räuber, dem Frontmann der Band Polarkreis 18, die mit dem Song Allein, Allein seit Wochen an der Spitze der deutschen Charts steht. Der hymnische Mitgröltitel hört sich an wie ein Lied aus dem Fundus eines Fußballstadions voller Melancholiker.

Folgt man Felix in Richtung Norden, flackert gleich hinter dem Albertplatz ein fast euphorisches Kiezgefühl auf. Antiquariate, Plattenläden und Galerien nisten in durchweg alter Bausubstanz, Shisha-Bars, ayurvedische Esoterikbuden und Tattoo-Shops blenden mit grellen Designs. Dann steht man vor der ersten Felix-Location und hält inne. Am Eingang des Clubs Die Scheune gibt ein Rudel Punks den Bürgerschreck wie aus einem Almanach der Jugendkultur. Mit Hundehalsbändern, kunstvoll eingerissenen Hosen und akkurat in Form gebrachten Stachelhaaren. Dabei wirken die Elb-Irokesen mit ihrem drolligen Sächsisch so gutmütig wie die Indianer von Karl May.

Trotzdem geht man lieber weiter ins Combo, das Felix als „hippieeskes Kneipchen“ mit „sehr interessanten Speisen“ ankündigt. Was sich dahinter verbirgt, ist ein Afri-Cola-Interieur: weiß gelackte Schalensessel, braun-orange gemusterte Tapeten, Twiggy-Poster. Und die Speisen? Hamwa nich. Das Einzige, was man zu kauen bekommt, sind Gummibärchen zum Kaffee. „Essen gab’s hier nie“, sagt der Wirt und zeigt auf zwei Gäste mit Hornbrillen und Skimützen, die Pizzakartons zu einem Tisch balancieren. „Im Combo darf sich jeder sein Essen selbst mitbringen.“

Dafür weiß der Dreitagebartschlaks viel über die Äußere Neustadt zu erzählen. Zum Beispiel, dass sich hier zu DDR-Zeiten Künstler und Exhäftlinge in einem maroden Soziotop eingerichtet hatten, das durch Plattenbauten ersetzt werden sollte. Erst die Wende verhinderte den Abriss eines der größten Gründerzeitviertel Europas. Im Indie Guide steht so etwas nicht, allerdings sind sieben knappe Seiten auch nicht eben viel für eine Stadt, deren Spaßquartier allein auf rund 100 Kneipen kommt.

Im ersten selbst eroberten Geheimtipp schmeckt der Drink ohnehin am besten. Zum Beispiel in der schrulligen Lebowski-Bar in der Görlitzer Straße. Hier kann man ununterbrochen den Kultfilm The Big Lebowski sehen und dem süffelnden Altfreak Dude alias Jeff Bridges mit einem White Russian zuprosten. Schon beim zweiten Glas glaubt man, sich genau das immer gewünscht zu haben. Nach dem dritten ist man sogar sicher.

Am Tag darauf kommt deshalb die Elbtalempfehlung von Felix und seinen Freunden sehr gelegen. Ein Novemberspaziergang entlang dem Strom vertreibt den Kater im Nu. Der Weg führt vom barocken Sandsteingewoge des Zentrums bis zum Blauen Wunder. Die berühmte Brücke ist ein monumentaler Eisenverhau und sieht aus, als sei sie selbst ihre größte Last.

Nicht weit entfernt von ihr liegt der Tipp, für den man Felix kurz vor Schluss dann doch am liebsten umarmen würde. Es ist der feinsinnig sortierte Plattenladen Sweetwater von Tino Tuch. Der Mann gleicht einem sächsischen Uwe Ochsenknecht. Er serviert Kaffee, und sein Akzent beruhigt wie rieselnder Sand. Während draußen Nebel die Fenster tüncht, sinkt man beim Hören und Fachsimpeln immer tiefer in die Ledersessel und möchte nie mehr aufstehen.

Irgendwann tut man es dann doch. Zum Beispiel, weil man Hunger hat. Wie schön, dass das Zaza fast nebenan ist, wo die Band ihre Verhandlungen mit der Plattenfirma stattfinden ließ. Hier sitzt man unter Lüstern zwischen klassizistischen Säulen und stößt sich die Beine an den alten Nähmaschinenmonstern, auf denen die Tischplatten ruhen. Eine Riesenspeisekarte soll das Zaza haben, schreibt der Polarkreis-18-Sänger. Tatsächlich gibt es gerade mal vier Hauptgerichte, darunter gebratene Austernpilze. Ein Verdacht reift zur Sorge: Klingt Felix Engelsstimme deswegen so entrückt, weil er nicht ordentlich isst?

Ein bisschen trotzig bricht man auf und geht in die Prager Bierstuben. Hier trägt die Bedienung Dirndl, aus den Boxen schmachtet Barry Manilow. Und die Rentner vom Neumarkt sind auch da. Aber das szenefreie Hirschgulasch mit Wacholdersoße, Rotkraut und Serviettenknödeln – Respekt!