Friede den Palästen
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Friede den Palästen

DIE ZEIT, Nr. 46/2011

Friede den Palästen

 

Zwei Jahre nach den Anschlägen machen die beiden prächtigsten Hotels von Mumbai einen Neuanfang.

Ein Mann wie Herr Singh sagt einem selten Guten Tag. Der Zweimeterhüne trägt eine triumphale Schnurrbartbürste, Goldbrokat für zehn Admiräle und ein strassfunkelndes Kunstwerk von einem Turban. Weniger kommt nicht infrage für einen Portier, der vor dem Taj Mahal Hotel in Mumbai die Autotüren öffnet. Herr Singh tut das mit einer raumgreifenden, nahezu deklamierenden Geste. Wer ihm eine Weile dabei zusieht, kann trotzdem nicht anders, als Mitleid zu empfinden. Denn die Grandezza seiner einzigen Amtshandlung verkümmert im schnöden Durcheinander von Männern, die keine Turbane, sondern Tellermützen tragen – Sicherheitsleute leuchten in Kofferräume und Motorhauben, schieben Spiegel unter Bodenbleche. Zwischen ihnen wirkt Herr Singh wie ein Bollywood-Held, der sich an einen Grenzübergang der DDR verirrt hat. Er hält die Hände noch zum Gruß gefaltet, da ruckelt schon das Gepäck durch eine Durchleuchtungsmaschine, fiepen Detektoren über Arme und Beine der Gäste.

Der Sicherheitskult vor Indiens Hotelikone ist enorm. Doch genützt hat er nichts, als vor zwei Jahren, am 26. November 2008, Terroristen die Luxusherbergen Taj Mahal Palace und Oberoi sowie ein halbes Dutzend weiterer Ziele im einstigen Bombay attackierten und dabei 166 Menschen töteten. Drei Tage lang hielten sie damals Touristen und Hotelangestellte als Geiseln gefangen, lieferten sich Schießereien mit Spezialeinheiten der Polizei. Am Ende lagen weite Teile des Taj Mahal Palace in Trümmern. Die brennende Kuppel des Hotels wurde zum Emblem des Terrors, der zum ersten Mal in Indien eine der Karawansereien der Reichen und Mächtigen ins Visier genommen hatte.

Seit seiner Wiedereröffnung im August versucht der Palast, die Schrecken der Vergangenheit vergessen zu machen. Natürlich: Als glanzvolle Refugien trachten Luxushotels überall auf der Welt danach, die hässlichen Seiten der Wirklichkeit auszusperren. Mumbai hat davon reichlich: Der 18-Millionen-Moloch ist kein Ort für klassische Besichtigungstouren. Man kann sich nur hineinstürzen in seine Bilderflut, die keine Übergänge kennt und in der alles gleichzeitig zu geschehen scheint. Irgendwann muss man fliehen vor Mumbais too-muchness, die Salman Rushdie seiner Geburtsstadt attestiert. Und vor der einen kein Haus schöner behütet als das Taj Mahal Hotel – eine architektonische Kalorienbombe mit Zutaten aus Renaissance und Viktorianismus sowie einer Prise orientalischer Bögen.

Wer durch seine Drehtür tritt, glaubt, von einem Traum in den nächsten zu wechseln. Kühle löst das Hemd von der nass geschwitzten Brust. Es duftet nach Blumen, die Melodie von Doktor Schiwago weht durch die Lobby. Benommen lässt man sich auf einem der sahnefarbenen Diwane nieder. Ringsum fummeln Beaus mit Sonnenbrille im Haar an ihren iPhones, stöckeln Damen aus Boutiquen von Bulgari, Louis Vuitton oder Montblanc. Ein paar Schritte weiter gibt es einen Buchladen. Wer dort nach Veröffentlichungen über die Anschläge fragt, blickt erst in ratlose Gesichter. Dann durchsuchen gleich drei Mitarbeiter das Geschäft und bringen irgendwann ein Taschenbuch zum Vorschein, das sie auf Kniehöhe ins Regal sortiert hatten.

Reminiszenzen an den Terror haben es schwer im Taj Mahal. Auch das Denkmal für die Toten könnte kaum unauffälliger sein. Es befindet sich in einer Art Wintergarten, in dem eine Marmorwand die Namen der 32 ermordeten Gäste und Personalangehörigen auflistet. Hier gibt es auch eine Sitzbank für Angehörige. Doch um sie zu nutzen, müssen sie an der Rezeption um Zugang bitten.

„Wir akzeptieren die Ereignisse als Teil unserer Geschichte. Aber wir wollen nicht, dass sie alles überstrahlen“, sagt Birgit Zorniger und zupft den Kragen ihres Seidenanzugs zurecht. Die schwäbische Vizehotelchefin sitzt in der horizontblau getünchten Sea Lounge unter silbernen Lüstern. Hier suchten Gäste hinter umgestürzten Tischen Schutz vor Granaten und Gewehren, ehe die Terroristen das Café in Brand steckten.

Zorniger weicht dem Thema nicht aus. Und doch ist ihr offenbar wohler dabei, über die gloriose Vergangenheit ihres Hotels zu sprechen, das die Nahtstelle des kolonialen Indiens zur Neuzeit markiert: Hier wurde die Unabhängigkeit des Landes verhandelt, gab sich die Weltprominenz die Klinke in die Hand. Betuchte Mumbaier betrachten das Taj Mahal seit seiner Eröffnung 1903 als ihr Wohnzimmer. Hier arrangieren sie Ehen, feiern Feste, nehmen den ersten Drink ihres Lebens. Das hat sich auch nach den Anschlägen nicht geändert. Sie sei stolz darauf, sagt Zorniger, dass das für knapp 30 Millionen Euro renovierte Haus seine „Tajness“ bewahrt habe. Selbst in der Nebensaison seien die 285 Zimmer und 49 Suiten im Palastflügel zu 70 Prozent belegt.

Zorniger sieht durch das Fenster zum Gateway of India. Der moosbewachsene Triumphbogen der Engländer ist das Wahrzeichen Mumbais und steht wie ein vergessenes Filmrequisit im Monsunregen. Man müsse von nun an nach vorn blicken, sagt sie und nippt an einer Tasse Darjeeling. „Unsere Mitarbeiter sind zu Helden geworden, als sie um das Leben der Gäste kämpften. Schon um ihretwillen muss das Leben weitergehen.“

Einer dieser Helden heißt Hemant Oberoi. Er ist der Chef aller Küchen in den 66 indischen Taj-Hotels. Um den Koch der Köche zu treffen, verlässt man im ersten Stock das monumental verästelte Treppenhaus, geht über frisch verlegte Marmorintarsien und passiert den goldprangenden Crystal Ballroom, in dem gerade eine Investmentfirma tagt. Irgendwo biegt man ab ins humorlose Neonlicht des Küchentrakts. Inmitten von Topfgeschepper und Stimmengebell sitzt Hemant Oberoi in seinem mit Mappen zugestapelten Büro. Hier erfindet er neue Speisen und koordiniert die zwei Flugzeugladungen, die Woche für Woche aus der ganzen Welt Zutaten für die fast 5000 Gerichte heranfliegen, die täglich im Taj Mahal serviert werden.

Hemant Oberoi ist ein gedrungener, in sich ruhender Mann. Selbst wenn man ihn auf die Anschläge anspricht, leuchtet ein zartes Lächeln in seinem Gesicht. Es wäre für ihn und seine Mitarbeiter einfach gewesen, der Belagerung zu entfliehen. Doch sie rannten immer wieder in die Flammen, um verletzte Gäste in die Küche zu retten. „Da, wo Sie jetzt sitzen, haben wir Schusswunden mit Brandy desinfiziert. Und wir haben viele Sandwiches gemacht. Die Menschen hatten ja über Stunden nichts gegessen!“ Ob auch Köche zu Schaden gekommen seien? „Sieben“, sagt Oberoi leise und blickt auf seine gefalteten Hände. „Sieben meiner Köche sind gestorben damals.“ Es ist der Moment, in dem nichts mehr zu fragen bleibt. Die Einsicht, dass das Gerede vom Kunden als König so wahr werden kann, macht sprachlos.

Das Treffen mit Hemant Oberoi wirkt nach beim Aperitif in der Harbour Bar. Auch die erste lizenzierte Bar Mumbais brannte völlig aus. Nach dem Angriff hat ein Architekturbüro den gediegenen Trinkerhimmel in einen stilstarren Trendclub verwandelt. „Viele Stammgäste bleiben aus“, erzählt einer der Kellner und steckt Limettenspieße in Gimlets. Hinter ihm schlingern lachende Inderinnen in Miniröcken die nagellackrote Treppe hinunter, die zu einem japanischen Restaurant führt. Die Mädchen haben eindeutig Schlagseite. Ihr unbekümmerter Rausch wirkt wie ein Triumph über den terroristischen Schrecken.

Im Oberoi, nicht weit entfernt vom Taj Mahal Palace, blieb den Inhabern nur wenig Substanz, an die man nach den Anschlägen hätte anknüpfen können. Die einzige ernst zu nehmende Konkurrenz des Palace in Mumbai wurde von den Terroristen so zugerichtet, dass nur noch das Mauerskelett übrig blieb. Bei der Neueröffnung im April präsentierte sich ein fast vollständig neues Hotel.

Weiter Raum ist der Luxus, mit dem der modernistische Bau wuchert, helle, lichte Leere inmitten der demografischen Überdruckkammer Mumbai. In der Lobby breitet sich ein weißer Marmorboden aus wie ein See aus Milch, in dessen Mitte Sitzgruppen und ein ferrarirotes Piano schwimmen. Korridore rund um das Atrium führen zu Zimmern, deren Minimalismus an Einfallslosigkeit grenzt. Das Oberoi hat die Verheerung als Zäsur für eine neue Strategie genutzt. Während die Zahl der Suiten verdreifacht wurde, reduzierte man die Zahl der Zimmer. „Der Markt wollte es so“, sagt der Room Division Manager und räumt verlegen ein, dass trotzdem zwei von drei Zimmern leer stehen.

Den Gast muss das nicht kümmern. Er freut sich einfach über den Platz. Man genießt ihn vor allem beim Frühstück in einem zur Lobby hin offenen Restaurant. Zwischen Orchideen und abstrakter Kunst kann man hier morgens den breitbeinigen Habitus von Geschäftsmännern in Maßanzügen beobachten. 32 Menschen sind im November 2008 in diesem Lokal ums Leben gekommen. Man hat es in Fenix umbenannt, in Anspielung auf den Vogel, der aus der Asche aufsteigt. Er ist die einzige Referenz an die Katastrophe im ganzen Gebäude. Doch auch ohne Erinnerungstafeln drängen sich Gedanken an die Anschläge an vielen Orten auf. Zum Beispiel im Ziya-Restaurant, das sich als Tempel zur Anbetung der Farbe Gold geriert. Hier kann man bei Ambient-Jazz sogar ein mit Blattgold überzogenes Tandoori-Huhn verspeisen. Jeder Bissen ist köstlich und gleicht einer dekadenten Siegergeste der Überlebenden.

Die luftige Champagner-Lounge am Rand der Lobby ist am Nachmittag voll besetzt. An einem der Tische fotografiert ein Araber fünf Frauen, die bis auf einen Sehschlitz verhüllt sind. Ein Stück weiter diktiert ein Mann Anweisungen in sein Handy, das er hält wie eine schmelzende Praline.

Dem Gast steht nach all dem der Sinn nach einem Ausflug ins Tollhaus Mumbai. Doch als er gerade aufbrechen will, rät ein Kellner zum Bleiben. Die Stadt erwarte ein Verdikt. Es gehe um ein Stück Land, über das sich Muslime und Hindus streiten. Man rechne mit Ausschreitungen. Also verharrt der Gast im Sessel und bestellt noch ein Gläschen. Wo sonst wäre er besser geschützt? 100 Sicherheitsleute bewachen das Oberoi, trainiert von israelischen Spezialisten. Und 175 Kameras äugen in jeden Winkel – zehnmal so viele wie vor dem Attentat. Als hinter den schusssicheren Glaswänden der Lounge die Sonne in einem Löschpapierhimmel zerläuft, lassen sich riesige Raben auf dem Grünstreifen vor der Fensterfront nieder. Erst sind es zwei, dann fünf, dann acht, es werden immer mehr. Die finsteren Vögel staksen herum und glotzen durch die Scheibe. Der Gast nippt am Dom Pérignon. Und genießt den Schauder.