Hölleluja am Ring
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Hölleluja am Ring

DIE ZEIT, Nr. 30/2009

Hölleluja am Ring

 

Rodeoreiten und der Sturz eines Finanzministers – am Nürburgring hat das Freizeit- und Businesszentrum eröffnet

In der Pension Stroof haben die Polster so fulminante Knicke, dass man unwillkürlich an Karate denkt. Ob man vielleicht ein Zimmer sehen könnte, hat man eben gefragt. Doch die Wirtin zeigt gleich die ganze Herberge. Sie marschiert vorneweg, schließt eine Tür nach der anderen auf und präsentiert kästchenhafte Refugien mit regenbogenbunten Frotteematten, Keramikfunzeln, lindgrünen Kacheln. Kaum zu glauben, dass hier die hochbezahlte Boxencrew des Formel-1-Rennstalls McLaren Mercedes abgestiegen ist. „Jahr für Jahr haben die Leute hier gewohnt“, sagt Frau Stroof. Ihre Pension ist eine von insgesamt 30 Unterkünften in Nürburg, und das 200-Seelen-Dorf die wichtigste Wallfahrtsstätte der Motorsportler. Am 12. Juli fand hier das Formel-1-Rennen statt. Erst die Nordschleife machte Nürburg jedoch zum Nonplusultra der Autofanatiker, jene härteste und längste Rennstrecke der Welt, die den Eifelort seit 1927 umkreist. Man hört hier keine Vögel, sondern nichts als Motorengedröhn und Reifenquietschen und das Geschnatter von Blondinen, die, auf Animierdamenschuhwerk geschnallt, durch die Straßen stöckeln. Von diesen Pilgern lebte bisher das ganze Dorf. Doch damit könnte nun Schluss sein. Denn gerade hat direkt neben der Rennstrecke das Freizeit- und Businesszentrum Nürburgring 2009 eröffnet. Und deshalb ist Frau Stroof sauer. So wie alle hier.

Um von Nürburg zum Ring zu fahren, reicht der zweite Gang. Es sind nur drei Kurven bis zu den neuen Hallen, die mit herrisch funkelnder Aluminiumhaut aus den Eifelhöhen herausragen. In ihrer Mitte thront der Glaskubus des neuen Welcome Center. Unwillkürlich zwinkert man mit den Augen, so licht und klar wirkt das Entree. Nebenan erstreckt sich ein überdachter Boulevard, wo Ferrari und Aston Martin hochnäsig in chromglänzenden Showrooms stehen. Die Auto-Kö will dem garstigen Eifelwetter trotzen und Besucher auch im Winter anlocken. Das Gleiche gilt für den 15.000 Quadratmeter großen Indoor-Erlebnispark vis-à-vis. Hier sollen Familien Windkanäle und das nachgebaute Fahrerlager bestaunen, in 4-D-Kinos juchzen oder „Motor Mania“ spielen – der Pressetext verspricht „interaktiven Spaß, eine Reise durch eine verrückte Motorsport-Welt im XXL-Format“. Doch die Halle wurde zur Eröffnung des Freizeitcenters nicht fertig.

Andere Attraktionen wie die zwei Hotels, die 104 Ferienwohnungen, das Amüsierviertel und die beiden Veranstaltungshallen sowie die Haupttribüne konnten zur Eröffnung des Parks auf den allerletzten Drücker in Betrieb genommen werden. Auf ihrer Rückseite bewegt man sich parallel zur Start- und Zielgeraden durch ein lang gezogenes System aus Wegen, Hochstraßen und Fußgängerbrücken. Dazwischen eröffnen sich Blicke in das grüne Gewoge der Eifel. Man muss immer wieder hineinsehen und fühlt sich dann seltsam deplatziert. Es ist, als sei man Transitpassagier in der aseptischen Zwischenwelt eines Großflughafens und schaue durch dicke Fensterscheiben auf die eigentliche Welt.

Die Achterbahn beschleunigt doppelt so schnell wie ein Formel-1-Wagen

Vor dem Eingang zum Boulevard zischt und brüllt plötzlich die Luft, als höbe tatsächlich ein Airbus ab. Ein offenes Gefährt mit acht Japanerinnen an Bord schießt unter Druckluft wie eine Kanonenkugel davon. Wenige Sekunden später sieht man nur noch einen kleinen Punkt, der in eine Loopingschleife rast. Das Geschoss ist die weltschnellste Achterbahn, sie beschleunigt doppelt so schnell wie ein Formel-1-Wagen – in 2,5 Sekunden auf mehr als 200 Stundenkilometer.

„Beim Ring Racer wirken G-Kräfte! Da können Sie erleben, wie sich ein Sebastian Vettel beim Rennen fühlt“, schwärmt Walter Kafitz. Der hochgewachsene Mann ist seit 1994 Hauptgeschäftsführer der Nürburgring GmbH. Er trägt einen grauen Dreitagebart und eine randlose Brille. Fasziniert wie ein Junge blickt der 58-Jährige auf die Trasse, obwohl er die Achterbahn schon oft bei Proben fahren sah. Schließlich war der Bau des Freizeitcenters seine Idee. 300 Veranstaltungen mit zwei Millionen Gästen finden jährlich auf dem Nürburgring statt, der damit als die meistbesuchte Rennstrecke der Welt gilt. „Jetzt können wir die Anlage das ganze Jahr über nutzen und rechnen mit weiteren 500.000 Besuchern“, sagt Kafitz und schlendert in Richtung Haupttribüne. Zudem wolle man sich von der Formel 1 unabhängiger machen – deren Zampano Bernie Ecclestone soll mittlerweile 20 Millionen Euro nur dafür verlangen, dass die imageträchtige Königsklasse irgendwo Station macht. Und jedes Formel-1-Rennen ist ein Minusgeschäft, denn solche Summen sind über Eintrittsgelder nicht einzuspielen.

Auf den Tribünenrängen nimmt Walter Kafitz auf einem der Schalensitze Platz und schiebt sich einen Kaugummi in den Mund. Er kaut so bedächtig und breit, wie sein Pfälzisch klingt. Ein rundum zufriedener Mann. Hinter den Kulissen seines Lebenswerkes sieht es jedoch gar nicht gut aus. Nicht nur, dass es rund 45 Millionen teurer wurde als geplant und wegen höchst verworrener Finanzierungstricks heftig unter Beschuss geriet. Am 7. Juli kam auch noch ans Licht, dass die eingeplanten 94 Millionen Euro des Privatinvestors Mediinvest ausbleiben und das Land Rheinland-Pfalz, das zu 90 Prozent an der Nürburgring GmbH beteiligt ist, auch für diesen Betrag größtenteils aufkommen muss. Ingolf Deubel, Aufsichtsratschef der GmbH und rheinland-pfälzischer Finanzminister, hatte die Millionen-Deals eingefädelt. In der vergangenen Woche zog er die Konsequenzen und legte sein Amt als Finanzminister nieder.

Walter Kafitz glaubt dennoch an das Projekt. Schon 2010 werde es schwarze Zahlen schreiben. Was ihn so sicher macht? Natürlich gebe es Gutachten „noch und nöcher“, sagt er. Doch das sei nicht das Entscheidende. Kafitz beugt sich vor, legt die Fingerkuppen priesterhaft aufeinander und spricht plötzlich von Günther Jauch. In dessen Sendung sei einmal nach einem Streckenabschnitt der Nordschleife gefragt worden. Es war die 8000-Euro-Frage, und der Kandidat nahm den Publikumsjoker. „Und dann“, Kafitz’ Stimme wird feierlich, „dann haben 84 Prozent gewusst, dass die Fuchsröhre gemeint war. Ein Gänsehautgefühl! Die Nordschleife ist unser Mekka. Und zu diesem Mekka will jeder Rennsportfan. Jeder!“

Um das Gänsehautgefühl von Walter Kafitz zu verstehen, muss man ein paar Kilometer weiter zum Nordschleifenabschnitt Döttinger Höhe. Tag für Tag machen hier Tausende Besucher auf einem Parkplatz Party. Das Publikum reicht vom Bleifuß aus Essen-Borbeck bis zum Banker aus Madrid. Hier regeln vier Mautschranken den Zugang zum Kurvenmeer, auf dem jeder Gas geben darf, der einen Führerschein hat. BMW mit türgroßen Spoilern knurren über das Gelände wie Kampfhunde, Porsche in Kriegsbemalung fauchen, Corvette schieben sich wie breitmäulige Reptilien durch den Autozoo. Am Steuer der Wagen aus ganz Europa sitzen Männer mit Helmen und Rennfahrerhandschuhen. Viele stellen ihr Auto in einer nahen Garage unter und fliegen regelmäßig aus Helsinki oder Marseille für ein paar Runden ein.

Andere mieten Andy Gülden. Für 295 Euro rast der Ex-Formelfahrer mit einer Rennversion des Aston Martin Vantage über die knapp 21 Kilometer lange Asphaltachterbahn mit 300 Höhenmetern. Rennfahrer Jackie Stewart nannte sie einst die „Grüne Hölle“. Es ist eine Fahrt, die man nie mehr vergisst. Behelmt zwängt man sich neben den ein bisschen korpulenten Andy in die grüne Flunder und glaubt, auf dem Boden zu sitzen. Das Lenkrad wird erst jetzt festgeschraubt. Jemand packt einen in Gurte wie in eine Zwangsjacke. Andy erklärt die Handzeichen. Daumen hoch: Alles okay. Dämpfende Handbewegung: Fahr mal langsamer. Kreuzende Wischbewegung mit beiden Armen: Anhalten, ich muss kotzen.

Dann brüllen die 415 PS auf. Andy macht ernst. Die brachiale Beschleunigung presst einen ins Renngestühl. Hatzenbach, Flugplatz, Schwedenkreuz, Andy ruft die Streckenabschnitte in sein Helmmikrofon. Und jetzt die Fuchsröhre. Elf Prozent Gefälle plus Kurve. Sechster Gang, die Tachonadel nähert sich der 300. Angst und Lust fluten das Hirn zugleich. Nach nur acht Minuten ist der Wahnsinn vorbei. Man taumelt aus dem Auto mit klatschnass geschwitztem Hemd und einem euphorischen Gottvertrauen, das einen lange nicht mehr verlässt.

Der Rodeobulle verlor schon beim ersten Einsatz ein Horn

Mit sturmhaubenruinierter Frisur geht es nun ins Congress & Motorsport Hotel gleich hinter den Formel-1-Tribünen. Kai Richter sitzt schon in einem der Ledersessel in der Lobby. Der blonde Düsseldorfer ist Chef von Mediinvest und Projektentwickler der Restaurants und Hotels. „Der neue Nürburgring kann nur funktionieren, wenn es Orte zum Verweilen gibt“, sagt er. „Und die gibt es jetzt für jeden Geschmack – für den Scheich genauso wie für den GTI-Fahrer“. Im Viersternehotel blicken überlebensgroße Formel-1-Helden von Backlightbildern auf den Besucher herab. Die Lounges erinnern an die Kommandobrücken von Kinoraumschiffen, es gibt illuminierte Bars, und in den hellen Zimmern ist Schwarz mit Beige kombiniert – über den Betten steht in glänzenden Lettern „Boxenstopp“. Auf dem Dach befindet sich ein Hubschrauberlandeplatz und direkt darunter eine Businessebene, die selbst in Dubai gut ankäme.

An die GTI-Fahrer dachte Richter wohl, als er schräg gegenüber zusätzlich das „Eifeldorf Grüne Hölle“ für 5000 Gäste errichten und in alle Lokale Speibecken einbauen ließ. Das Gaudizentrum gruppiert riesige Pseudofachwerkbauten mit schwarzwaldhaft tief gezogenen Dächern um einen Innenhof, der in etwa so groß ist wie ein Fußballfeld. Der Name Eifeldorf ist der reinste Euphemismus: So sieht es rund um den Nürburgring wirklich nicht aus. In der Eifel heißen die Orte Reudelsterz, Nitz oder Oberbaa, und die Häuser mit ihren Eternitfassaden sind Monumente des Pragmatismus. Mit Richters Paralleleifel haben sie wenig gemein.

Mittelpunkt der Grünen Hölle ist der Eifel Stadl für 1900 Gäste. Der Name der Disco scheint eine Reverenz an die Tiroler Baufirma zu sein, die das Dorf in gerade einmal neun Monaten errichtete. Und tatsächlich geht es hier zu wie beim Après-Ski – trotz einer riesigen VIP-Etage, in die nur Auserwählte durch Drehkreuze gelangen. Ballermannhits hämmern durch die Halle, in der die Eifeler Landjugend auf die Fan-Internationale des Motorsports trifft. Die Musik ist laut, man schreit sich an. In der Langstreckenbar findet gerade ein Saufwettbewerb mit zehn verschiedenen Biersorten statt. Und im Nürburger Brauhaus ein Stück weiter steht ein Bulle zum Rodeoreiten. Das Ding sieht aus wie ein größenwahnsinnig gewordenes Kuscheltier und verlor schon beim ersten Einsatz ein Horn.

Scheichs passen besser in den schummrigen VIP-Club Twentyseven oder ins Restaurant Castello. Dort gibt es Flugente und Jakobsmuscheln, und die Bedienungen entschuldigen sich, wenn sie von der falschen Seite servieren. Dorthin flieht man dann vor dem Gedröhn und fragt sich, was das alles mit Motorsport zu tun hat.

Die Nürburger fragen sich das sowieso. Allen voran Uschi Schmitz, die Ikone der Kafitz-Gegner. Die betreibt mit ihrer Pistenklause das Gegenstück zum inszenierten Amüsement. Das Lokal ist ein Rennsportpantheon, in dem einem goldene Lorbeerkränze, Pokale und Autogramme von jeder Wand entgegenquellen. Sogar die Decken sind vollgekritzelt. Hier saß Tochter Sabine auf dem Schoß von Niki Lauda, während Uschi Schmitz allen Legenden der Formel 1 bis spät in die Nacht Moselwein servierte. Aber vorbei. „Das sind doch heute keine Typen mehr“, schimpft sie und verdreht ihre murmelblauen Augen. „Alles nur Züchtungen!“ Es klingt, als wüsste sie längst, dass zu denen nichts besser passt als der Kulissenzauber des neuen Nürburgrings.