Western für Fortgeschrittene
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Western für Fortgeschrittene

DIE ZEIT, Nr. 46/2013

Western für Fortgeschrittene

 

Terlingua im Südwesten von Texas war lange eine Geisterstadt – bis Aussteiger mit grenzenlosem Freiheitsdrang sie neu entdeckten.

Der Südwesten von Texas ist keine Gegend, in der sich ein Vertreter der Gattung Homo sapiens irgendwie wichtig vorkommen könnte. Zu maßlos und zu leer ist das sonnendurchglühte Land vor meinem Pick-up, zu gerade die Straße, die direkt in einen gigantischen, wie zu blauem Porzellan gebrannten Himmel führt. Seit Stunden kommt es mir vor, als weiche der Horizont mit jedem Kilometer weiter zurück, als sei die Erdkrümmung das einzig mögliche, aber unerreichbare Ziel.

Später wechsele ich auf den State Highway 118 und nehme Kurs auf den Big-Bend-Nationalpark, der sich in eine südliche Ausbuchtung des Rio Grande schmiegt. Immer tiefer fahre ich jetzt in eine Art megalomanen Steinbruch hinein. Felsbrocken liegen auf Hügeln herum, als hätten die Kräfte der Geologie eine Party gefeiert, aber vergessen aufzuräumen. Und jetzt, sechs staubige Stunden von El Paso entfernt, bin ich am Ziel. Aber warum will es sich überhaupt nicht so anfühlen?

Ich klettere aus dem Auto, und die Hitze prallt mir mit der trockenen Wucht einer Kaminsauna entgegen. Die Tür kracht ins Schloss. Dann herrscht Totenstille. „Welcome to Terlingua Ghosttown“, grüßt ein Schild. Dabei ist das Panorama alles andere als einladend. Ruinöse Gemäuer verteilen sich weitläufig auf einem flachen, staubigen Hang. Die meisten sind Häuschen aus knochenbleichem Stein in allen Stadien des Zerfalls – manche wirken fast stattlich, andere sind nur noch Haufen, einen Ortskern gibt es nicht. Aussteiger sollen diese Geisterstadt wieder zum Leben erweckt haben. Vorerst fehlt jede Spur von ihnen. Was könnten sie hier auch wollen – in dieser mineralischen Einöde, die so trocken ist, dass man schon beim Anblick husten muss? Terlingua scheint eher ein Verbannungs- als ein Zufluchtsort zu sein.

Seine Größe immerhin lässt sich erklären. Denn wie jede Geisterstadt hat auch diese eine Geschichte. Vor 100 Jahren wohnten hier gut 2000 mexikanische Arbeiter, die aus Dörfern der Chihuahua-Wüste zugezogen waren. Die liegt nur eine Autostunde entfernt, gleich hinter dem Grenzfluss Rio Grande. Je weiter ich den Hang hinauflaufe, desto besser sehe ich in Richtung Süden die Tafel- und Kegelberge Mexikos und gen Osten die Gipfel des Big-Bend-Gebiets. Mit dieser Landschaft hätte Sergio Leone jeden seiner Western beginnen lassen können. Die Arbeiter werden damals kaum einen Sinn für sie gehabt haben. Sie schufteten hier in der zweitgrößten Zinnobermine der Welt. Aus dem Rohstoff wurde Quecksilber gewonnen, das man für Sprengzünder in Bomben und Geschützen brauchte. Ende des Zweiten Weltkriegs war damit Schluss. Man fand einen elektrischen Weg, Munition detonieren zu lassen, und Terlingua verkam zur Geisterstadt.

An einem der höchsten Punkte des Ortes thront die Villa des damaligen Minenbesitzers Howard Perry. Pittoresker kann ein Gebäude kaum verfallen: Balken stechen wie riesige Mikadostäbe durch Teile des Dachs, die meisten Fenster sind schaurig-schwarze Höhlen. Ein texanischer Caspar David Friedrich wäre entzückt. Das messerscharfe Licht dagegen erinnert eher an Bilder von Edward Hopper. Je mehr sich meine Augen daran gewöhnen, desto seltsamer werden die Entdeckungen. Verrostete Autowracks fallen auf, Skulpturen aus Schrott, und irgendwo steht eine Vogelscheuche mit gruseligem Aliengesicht. Das alles wirkt so surreal, dass mir ein kleiner Schauder über den Rücken fährt.

Das Gefühl verfliegt, als ich endlich einen Menschen treffe. Es ist Kaci, eine blonde Frau um die 50 mit lustigen Lachfalten. Sie sitzt auf der Terrasse der Villa und liest. Ist sie ganz allein? „Überall, wo du ein Dach siehst, lebt jemand“, sagt sie, klappt das Buch zu und tippt mit dem Zeigefinger in der Luft herum. Erst jetzt erkenne ich, dass manche vermeintliche Ruine offenbar hergerichtet ist und dass Solarplatten zwischen den Kakteen blitzen. Es gibt also doch neue Siedler. In den frühen siebziger Jahren, sagt Kaci, seien die ersten gekommen, die ein paar Trümmerbuden auf Vordermann brachten. Etwa 400 sind es heute. Obwohl es seit Kurzem Wasseranschluss gibt, sammeln die meisten immer noch den spärlichen Regen und duschen unter Rinnsalen. „Terlingua ist die Dritte Welt der USA“, meint Kaci. Es klingt wie ein Kompliment.

„Wenn du in einer so gnadenlosen Gegend lebst, tust du das nicht zufällig“

Kaci kam vor ein paar Jahren aus Alaska in den Süden. „Hauptsache, das Land ist leer. Sonst fühle ich mich eingesperrt und kann nicht denken“, sagt sie und streckt die Arme aus, als wolle sie die Wüste umarmen. Dann setzt sie sich einen Strohhut auf und zeigt mir einen Trakt der Patriarchenvilla, in dem man übernachten kann. Sie hatte die zwei lindgrünen Zimmer selbst renoviert und eine Weile als Pension betrieben – bis ihr der Grundbesitzer, dem fast die komplette Geisterstadt gehört, das Geschäft aus der Hand nahm.

Kaci liebt es einsam; mich macht die gespenstische Menschenlosigkeit langsam paranoid. Ich fühle mich beim Stromern wie der Fremde, den alle im Verborgenen mit gezücktem Colt beobachten. Ich pfeife ein wenig vor mich hin, während ich die wiederaufgebaute Adobekirche der Minenarbeiter betrete. Über den verwaisten Bankreihen hängen alte Schwarz-Weiß-Fotos von todernsten Mexikanerkindern im Kommunionsstaat. In einer nahen Senke liegt der Gemeindegarten, in dem sich ein bisschen Gemüse durch die Krume quält und versponnene Windspiele klimpern. Ein paar Schritte weiter finde ich eine Kunstdruckerei, in der es nach dem Gusseisen uralter Maschinen riecht. Die Türen stehen offen, aber niemand ist da.

Später stelle ich fest, dass die Geisterstadt wie eine Echse ist, die sich tagsüber mit Hitze vollsaugt, um abends zum Leben zu erwachen. Das findet seit je auf der 20 Meter langen Veranda des einstigen Terlingua Trading Post statt, von dem aus man den Ort und seine Ausfransung ins Nichts überblicken kann. Heute gibt es hier ein Geschäft mit Bier und mexikanischem Klimbim für die Touristen, die auf dem Weg zum Big Bend in Terlingua halten. Zurzeit kauft niemand ein – in Washington streiten sich gerade Demokraten und Republikaner um den Haushalt; während des Shutdowns bleibt der Park geschlossen. Gleich neben dem Laden liegt die große Bar Starlight Theatre, die früher das Arbeiterkino war. Ihre Toiletten sind ein Stück weiter im ehemaligen Gefängnis untergebracht.

Langsam füllt sich die Veranda. Vor allem Männer mit stattlichen Bärten tauchen auf. Man trägt Cowboyhüte und Gürtelschnallen mit dem texanischen Lone-Star-Wappen. Aussteiger? Die hier sehen eher aus, als stünden sie beim Haushaltszoff auf republikanischer Seite. Einer der Kerle hat sich Ruder auf die Unterarme tätowieren lassen. Als ich ein wenig zu lange draufschaue, hält er mir sein Bier zum Anstoßen hin und beginnt zu erzählen. Er ist einer der vielen river guides von Terlingua, die auf allen Flüssen der Welt gepaddelt sind, bis sie hier strandeten und heute Touristen durch die Canyons des Big Bend rudern. Ein anderer gehört zu den Feuerwehrmännern aus dem Norden der USA, die im Winter arbeitslos werden und dann für ein halbes Jahr in Terlingua siedeln. „Die meisten Bewohner kommen mit Geld und verplempern es hier nach und nach“, sagt er. „Manchmal reicht es für den Rest ihres Lebens.“

Das Verplempern ist Bryns Sache nicht. Wer sie sieht, glaubt es gleich. Ihr 57-jähriges Gesicht ist frisch wie ein Apfel, jede ihrer Bewegungen energisch bis in die Cowboystiefelspitzen. Die Künstlerin malt jedes mural der Gegend bis weit nach Mexiko hinein, veranstaltet Ausritte zu Pferd und hat Ruinenhäuser zu Pensionen gemacht. Was würde sie wohl mit ihrer Unternehmungslust anstellen, lebte sie woanders? „Dann gäbe es die wahrscheinlich gar nicht“, sagt sie, lacht und schnippt mit dem Feuerzeug den Kronkorken ihrer Bierflasche weg.

Es hat keine Stunde gedauert, und die Veranda ist auf Partytemperatur. Gleich zwei haben ihre Gitarren mitgebracht und singen Folksongs. Einer tanzt sogar ein bisschen. Es ist Doctor Doug. Der dünne Alte mit dem Prophetenbart und den gasflammenblauen Augen ist Terlinguas Lebenskünstler vom Dienst. In der rechten Hand hält er ein Bier, in der linken einen Spazierstock, der mit der Haut einer Klapperschlange überzogen ist. Er war der Erste, der in die Wüste zog, warum, weiß er selbst nicht mehr genau. Sein Titel ist natürlich Quatsch, genauso wie die Therapiesitzungen, die er Besuchern auf der Veranda anbieten will. Dennoch glaubt er fest daran, dass die von ihm etwas lernen könnten. „Schau dich um“, sagt er und legt mir seine Hand auf die Schulter. „Überall Steine und Klippen und Canyons! Alles voller Klapperschlangen, und Skorpione! 55 Grad Hitze im Sommer und kaum Wasser! Wenn du in einer so gnadenlosen Gegend lebst, tust du das nicht zufällig. Du willst es wirklich. Und wer tut, was er will, ist ein glücklicher Mensch.“

Zu meinem dritten Bier fächert das letzte Tageslicht über die Ebene, und die große Show beginnt: der Sonnenuntergang. Es ist, als explodiere ein Regenbogen in Zeitlupe. Unter vereinzelten Wolkenriffen leuchtet die Steinorgie erst in sattem Gelb, lodert dann orange und blutrot, um am Schluss lila und in einem geheimnisvollen Saphirblau zu glimmen. Alles wirkt auf einmal noch monumentaler, der Mensch noch kleiner und unbedeutender.

Am nächsten Morgen schlafe ich lange. Ich verpasse ja nichts. Frühstück bekommt man im Café von Noemi, bei einer der wenigen Mexikanerinnen in der einstigen Mexikanerstadt. In ihrer Küche wuseln sogar Kinder herum, die gibt es sonst nicht in Terlingua. Die meisten Bewohner haben ein Alter erreicht, in dem die eigene Hinfälligkeit kein abstrakter Begriff mehr ist. Mein Frühstücksnachbar Ken ist Anfang siebzig, ginge aber auch für Mitte achtzig durch. Kein Wunder: Abwechselnd beißt er in seinen Burrito und zieht an einer Zigarette. Wie viele in Terlingua raucht er, als wollte er daran ersticken. Seine Zähne haben die Farbe der Felsen um uns herum.

Ein Mann rudert mich über den pistaziengrünen Rio Grande nach Mexiko

Vor bald 40 Jahren kam Ken als Landvermesser hierher und stellte dabei fest, dass er keine Lust mehr hatte, die Weite in Kästchen zu sperren. Als er dann noch Fossilien fand, blieb er – als Hobby-Paläontologe. Nach dem Frühstück rumpeln wir im Pick-up zu seinem Labor, das zehn Kilometer außerhalb in der Steppe hockt. Umringt von Vitrinen, liegen dort 80 riesige Knochen auf dem Betonboden und bilden das Skelett eines Dinosauriers nach. Etwa 70 fehlen noch. „Nimm ein Puzzle, schmeiß vier Fünftel der Teile weg, und versuche dann, das Bild zusammenzusetzen – das ist Paläontologie“, erklärt Ken. Sie erinnere ihn daran, dass Westtexas nicht nur die Weite des Raums, sondern auch die Tiefe der Zeit verkörpere. Dann führt er mich nach draußen und zeigt türgroße Fossilien, die einfach so im Sand liegen. Es sind Urzeit-Haie, bei denen man sogar noch die Knochenreste ihrer letzten Mahlzeit erkennen kann – die Wüste war vor 70 Millionen Jahren ein Ozean. „Die Menschheit ist nur ein Witz“, sagt Ken und schiebt sich seinen Cowboyhut in den Nacken. „Ein Augenzwinkern der Erdgeschichte, mehr nicht. Wer das in dieser Landschaft nicht kapiert, begreift es nie.“

Auf dem Rückweg in den Ort schaue ich bei Sandy vorbei. Auch sie wohnt leicht im Abseits, wie viele der lokalen Nischenexistenzen, denen nichts wichtiger zu sein scheint als die eigene Unabhängigkeit. Sandys Haus müsse ich sehen, hatte es gestern auf der Veranda geheißen, als es um den Wiederaufbau der Ruinen ging. Und es stimmt. Ihr Domizil würde jeden Bildband über Wüstenheime zieren. Chilirote Chintzsofas kontrastieren mit rissigen Adobemauern, indianische Webarbeiten mit abstrakter Kunst und schmiedeeisernen Lüstern. Irgendwo ist ein Reitsattel aufgebockt, neben dem Kamin lehnt eine Winchester. In Terlingua schließt niemand ab, aber fast jeder hat eine Waffe im Haus. „Gutes Design ist nicht nur mir wichtig“, sagt Sandy, die ihr blondes Haar streichholzkurz trägt, „viele hier haben einen Sinn dafür.“ Sandy ist aus Florida zugezogen. Geflohen, würde sie sagen. „Der Konsumwahn hat mich weggetrieben. Alles war nur noch Abklatsch, nichts mehr echt. Hier komme ich endlich zu mir selbst.“ Dann macht Sandy die nächste Zigarette an und schaut hinaus in ihre Welt aus Sonne und Staub. Es ist ein melancholisches Bild. Für einen Moment meint man, ihr ausgeklügelter Formensinn diene dazu, gegen das Nichts anzukämpfen, dem man in Terlingua leicht anheimfallen kann.

Als ich zurück in der Geisterstadt bin, senkt sich bereits das Zauberlicht der Dämmerung über die Ruinen. Es ist die beste Zeit für einen Besuch auf dem Friedhof, unter dessen schiefen Kreuzen und bröckelnden Grabsteinen Aussteiger neben Minenarbeitern ruhen. Mitunter glaubt man sich auf einem Spielplatz: An fast jedem Grab liegt Nippes aus dem Leben der Verstorbenen. Spielzeugruderboote für die river guides, Hütten für die Hausbastler, Schnapsflaschen für die allzu Feierwütigen, die in Terlingua niemand Säufer nennen will. Zudem zeugen Bierdosen von Partys, die hier gemeinsam mit den Toten stattfinden.

„Keiner von uns mag Grenzen – vielleicht wollen wir darum sogar dem Tod das Trennende nehmen“, sagt Cynta, die auf einem selbst gebauten Sofa vor ihrem Haus sitzt. Die Frau mit der Löwenmähne ist der gute Geist von Terlingua. Sie hat nicht nur die Spenden für den Wiederaufbau der Kirche gesammelt, sondern auch Homecoming-Events für die Familien ehemaliger Arbeiter organisiert und Fronteras Unlimited mitgegründet. Die Initiative widmet sich dem Kampf gegen jene Grenze, die alle nervt: die zu Mexiko. Rund um den Big Bend gibt es eine Reihe von Grenzposten, an denen man immer ein Kommen und Gehen tolerierte – bis sie nach den Anschlägen vom 11. September geschlossen wurden. Einer davon wurde unlängst wieder geöffnet: Boquillas. Allerdings nur für Tagestouristen aus den USA. Mexikaner brauchen ein Visum, das sie praktisch nie bekommen. „Da musst du hin“, sagt Cynta, die den Ort unterstützt, indem sie Webarbeiten importiert und als Souvenirs vertreibt. „Das sind unsere Brüder und Schwestern. Boquillas gehört zu Terlingua.“

An meinem letzten Tag habe ich Glück. Die Politiker sind sich nähergekommen, die Nationalparkstraßen erneut befahrbar – auch Boquillas ist damit zu erreichen. Auf dem Weg in Richtung Grenze wird der Wilde Westen seinem Ruf wieder grandios gerecht. Der Santa-Elena-Canyon ist ein kühnes, von Wind, Wasser und Eis in die Tiefe gemeißeltes Zerstörungswerk der Zeit, ein Stück weiter ragen Magmadome und Lavazinnen in den Himmel.

Die Grenze selbst ist grotesk: Bewacht von Parkangestellten, spreche ich an einer Maschine mit Reisepassscanner und Videokamera zu einer Beamtin in El Paso. Dann rudert mich ein Mann über den pistaziengrünen Rio Grande nach Mexiko, wo ein Sänger zur Begrüßung eine Mariachi-Arie schmettert. Der Ort Boquillas jedoch weigert sich, so zu sein, wie man ihn gerne hätte. Eine einzige steinige Straße führt vorbei an einer verrammelten Bar und einer verwahrlosten Kapelle, an Autowracks und glotzenden Eseln. Ein Mann im Rollstuhl spielt furchtbar falsch Gitarre. Kinder verkaufen Armbänder, dürre Männer bieten aus Draht gezwirbelte Skorpione an. Auch wenn es nicht so aussieht, lebt ganz Boquillas von den Nationalparktouristen. In den alten Zeiten seien jeden Tag 100 Besucher gekommen, erzählen die Männer. Nach zwölf Jahren Zwangspause ließen sich nun drei oder vier täglich blicken. „Heute bist du der Einzige“, sagen sie und halten mir wieder ihre Skorpione hin.

Am Abend sitze ich noch einmal auf der Veranda des Trading Post von Terlingua und verfolge, wie sich die mexikanischen Berge langsam in violette Pagoden verwandeln. Gleichzeitig muss ich an Boquillas denken, das mexikanische Dorf, das noch immer den klassischen Amerikanischen Traum vom Aufschwung träumt, wenn auch voller Zweifel und Verzweiflung. In Terlingua gilt er nicht mehr. Hier geht es um einen anderen, älteren Traum Amerikas: den von der Freiheit. Die Wüste, selbst eine Tabula rasa, soll der beste Ort dafür sein. Aber wie viel Wüste, wie viel Freiheit kann man ertragen, bevor sie beginnt, einem zuzusetzen? In diesem Moment lässt sich Doctor Doug neben mir auf die Bank fallen. „Hier, deine Medizin“, sagt er und reicht mir ein Bier. Dann lehnt er seinen Stock an die Wand, verschränkt die Arme hinter seinem Grauschopf und seufzt: „Mein Leben hat keinen Zweck, keine Richtung, kein Ziel – und trotzdem bin ich glücklich. Ich versteh’s nicht. Was mache ich bloß richtig?“