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Neudeutsch

DIE ZEIT, Nr. 23/2019

Über Nacht in Berlin

Neudeutsch

 

Partytouristen aus aller Welt und die ortsüblichen Punks: Im Schulz an der East Side Gallery wächst zusammen, was nicht zusammengehört.

Bamm! Bamm! Bamm! Kann man mehr Krach machen an einer Hotelzimmertür morgens um fünf? Ich öffne – und stehe vor dem Leibhaftigen. Im Gesicht des Mannes prangen Piercings und Tattoos, die jeden Exorzisten in die Flucht geschlagen hätten. Als er mich sieht, begreift er: falsche Etage. Und stimmt eine Entschuldigungssuada an, die erst verstummt, als ich den Punk in den Arm nehme. Alles gut, Junge.

Wie man hört, ist „Tourist“ längst ein Schimpfwort in Friedrichshain und Kreuzberg, weil Besucher in Ferienwohnungen dort so tun, als gehörten sie dazu, und dann auch noch Wohnraum blockieren. Mein Hotel verspricht Dazugehören ohne schlechtes Gewissen. Sein Name könnte deutscher kaum klingen: Schulz. Der Namensgeber ist eine Kunstfigur, ein deutscher Weltbürger, der die drei Hotelgründer verkörpert. Sie haben tunesische, lettische und österreichische Wurzeln und sind stolz darauf, aus verschiedenen Schichten zu stammen. In Berlin fanden sie zueinander und schufen die Kette der Meininger-Hostels, die sie 2012 verkauften. Mit dem ersten Schulz versuchen sie, an diesen Erfolg anzuknüpfen. Und sie feiern ihr Multikulti-Deutschsein.

Ich checke bei einer Frau mit rosigem Mariengesicht ein, die noch nicht lange volljährig sein kann. Aliisa ist ihr Name. Woher der kommt? Aus Finnland. Ihr Deutsch fängt bald an zu schlingern. Ich merke: Sie will jetzt bitte, bitte auf Englisch weitermachen. Aber ich lasse sie nicht. Ihr Akzent klingt einfach zu schön.

Mein Zimmer dagegen wirkt gefestigt. Das Parkett und die Vorhänge sind grau-beige, einzelne Akzente in vornehmem Schieferblau. Am Kopfende des Betts zeigt eine Tapete surrealistische Reiseszenen, als seien die Träume der Gäste in die Wand diffundiert. Aus bodentiefen Fenstern schaue ich auf die Graffiti der East Side Gallery, des längsten erhaltenen Stücks Mauer. Die Fenster kann man nur kippen. Wahrscheinlich stürzte sonst jede Woche ein Partytourist auf den einstigen Todesstreifen.

Die Idee des Schulz: Hier sollen Menschen zusammenkommen, die sich sonst nie träfen. Damit das klappt, will das Haus Hostel und Hotel in einem sein – viele Räume lassen sich im Nu von einem Doppel- in ein Vierbettzimmer verwandeln. Später, an der Bar, läuft die kosmopolitische Weltläufigkeit zu großer Form auf. Alles lacht, prostet, fällt einander ins Wort. Vielleicht entspringt diese Energie den Grüppchen aus den Vierbettzimmern: Gemeinsam ist man lauter, leutseliger, ansteckender. Und die Klischees machen mehr Spaß. Das Gestentheater der Italiener, der insistierende Blick der Spanierinnen, die breitbeinige Jovialität der Amerikaner. Aber dann brandet ein englischer Junggesellenabschied mit einem Bräutigam im Babystrampler an die Theke. Und ich bin raus.

In der Lobby treffen sich schon die Clubmenschen in ihrem Partystaat zum Auszug in die Nacht. Ich trage Schwarz, was meine Chancen, die Tür des Berghain zu meistern, erhöhen soll. Doch als ich die Technofestung erreiche, ist die Schlange so lang, dass ich noch nicht einmal erkennen kann, ob dieser berühmte Satyr von Türsteher da ist. Nö, ohne mich.

Ich gehe über die Elefantenhausarchitektur der Oberbaumbrücke nach Kreuzberg – und lande bald in einer Punkkneipe wie aus dem Jahr 1980. Hier sind Männer mit blauen Irokesen und Frauen mit schwarzen Lippen, alles raucht, als gebe es keine Röntgenbilder. Wunderbar. Und so geht es weiter. Die letzten Biere kippe ich im „Trinkteufel“ zum räudigen Metall-Sound von The Exploited. Ich kann die Touri-go-home-Parolen jetzt ein bisschen verstehen. Kreuzberg muss Kreuzberg bleiben.

Als ich zurückkomme, ist in der Gemeinschaftsküche für Hotelgäste noch was los. Tagsüber haben sich hier Mädchen Pudding gemacht. Jetzt feiern Waliser mit roastbeefroten Gesichtern. Auf dem Tisch eine Flaschenarmada, in der Spüle abgenagte Koteletts. Ihr Alkoholpriester drückt mir einen Whisky in die Hand. Ich trinke ihn auf ex und gehe weiter zu meinem Zimmer, ganz so, als wolle ich den Freak nicht verpassen, der mich kurz darauf aus dem Bett hämmern wird. Als es so weit ist, verblüfft mich meine Sanftmut selbst. Prima Bursche, finde ich. Und frage mich, ob ich jetzt zum Schulz geworden bin.