19 Feb Da wirst du zum Alien
DIE ZEIT, Nr. 52/2018
Über Nacht in Köln
Da wirst du zum Alien
Im 25hours Hotel The Circle kann man zurück in die Zukunft der Sechzigerjahre reisen. Die passt erstaunlich gut zum Hipstergeist von heute.
Roger Moore in Moonraker würde jetzt nur eine Augenbraue heben. Aber der war ja auch James Bond. Ich dagegen fotografiere gleich drauflos wie ein Teenager. Was da plötzlich vor mir in den Kölner Himmel ragt, mutet an wie ein gigantisches Spaceshuttle aus Stein. Da kann man schon mal die Beherrschung verlieren.
Drinnen dann muss ich mich zusammenreißen, sonst würde ich das Handy nicht mehr aus der Hand legen. Über der Lobby des 25hours Hotel The Circle schwebt eine kreisrunde Rippendecke aus Stahlbeton, die aussieht wie eine illuminierte Riesenturbine. Auf einem Diwan döst eine Schaufensterpuppe im Kosmonautendress, die kugeligen Sitzgruppenmöbel stammen sicher von der Kommandobrücke eines Raumschiffs. Und als sei das nicht genug, erklärt im Eingangsbereich noch ein Roboter auf Knopfdruck, wo man sich hier befindet.
Ein Blick auf den Schriftzug über der Rezeption würde dafür reichen. Er nennt den Versicherungskonzern Gerling, der den Turm 1966 als Teil seiner Hauptverwaltung errichten ließ. Man kennt sie in Köln als das Gerling-Quartier: ein Ensemble eleganter, etwas großmannssüchtiger Bauten aus Muschelkalk und eins der größten Baudenkmäler der frühen Bundesrepublik. 2006 wurde der Konzern verkauft, aus dem „Quartier“ wurde ein Areal mit Wohnungen und Büros. Die Eröffnung des Hotels vor wenigen Monaten war die Krönung dieser Umwandlung.
In meinem Zimmer werfe ich mich erst mal aufs Bett. Dort überkommt mich bald das Gefühl, die Innenarchitekten seien in der Zeit zurückgereist, um meine Bude aus Kindertagen nachzuempfinden. Alles, was ich sehe, ist eine Hommage an die Vorliebe der Wirtschaftswunderjahre, sich die Zukunft in schwärmerischen Farben auszumalen. Auf dem Boden liegt ein sternenübersäter Teppich im Weltall-Look, der bauchige Nachttisch scheint von einem Raketentriebwerk inspiriert zu sein. Es gibt einen Haufen USB-Anschlüsse, aber auch ein Telefon mit Wählscheibe und ein im Vintage-Stil gekacheltes Bad.
Die Hotelkette 25hours hat zwölf Häuser, in deren je eigenem „Thema“ sich der Standort spiegeln soll. Damit ist sie so erfolgreich, dass jetzt nach dem deutschsprachigen Markt weitere dran sind. Demnächst eröffnen Paris, Florenz und Dubai. Welche Geschichte das Design in den Emiraten erzählen wird, steht noch nicht fest. Das Drehbuch für das kühne Gerling-Quartier lag indes auf der Hand: Es heißt Retrofuturismus.
Schreibtische gibt es im ehemaligen Verwaltungsbau kaum. Wer arbeiten will, kann das im Coworking-Space tun. Dort, im hinteren Teil der Lobby, bekommen nicht nur Hotelgäste Snacks und superschnelles Internet, sondern auch Kölner, die gern auf Digitalnomade machen. Sie gehören gewissermaßen zum Interieur: Das Hotel will sich so eine Extraportion Lokalkolorit ins Haus holen. Von einer organisch zerfließenden Sofalandschaft aus bestaune die Arbeitsplätze. Gut, dass ich meinen Rechner im Zimmer gelassen habe. Mit meinem Maulesel von Laptop käme ich mir unter den Coworking-Cowboys uncool vor. Ob sie von hier sind, kann ich nicht fragen: Sie tragen übergroße Kopfhörer.
Erstaunlich, wie gut das Hotel in den Kiez passt
Also erkunde ich lieber die Stadt, mit dem Leihbike einer edlen Fahrradmanufaktur. Sie ist ebenso Partner des Hotels wie ein Kunstbuchverlag, ein Vinyl-Plattenladen und andere Bannerträger des Retroschicks. Ihre Sachen kann man in mehreren offenen Nischen der Lobby kaufen. Früher zahlten dort Versicherte ihre Beiträge in bar ein. „Je digitaler die Welt wird, desto mehr sehnen sich die Menschen nach analogen Dingen“, erklärt der Hoteldirektor Nils Jansen, der mit seinem Bartgebirge aussieht wie der Idealtyp seiner Gäste.
Schon nach wenigen Pedaltritten bin ich im angesagten Belgischen Viertel. Auf seine Nachbarschaft ist das Hotel stolz. Und bald weiß ich, wieso: Hier wimmelt es von Cafés und Concept-Stores mit einem ganz ähnlichen Gestaltungswillen. Ich radele über Kopfsteinpflaster, stöbere in Secondhandläden, trinke Kölsch in einer Kneipe, die aussieht wie eine Tanzschule aus den Fünfzigern. Geradezu erstaunlich, wie gut das Hotel in diesen Kiez passt.
Hotelbar und -restaurant im achten Stock sollen denn auch, kein Wunder, im Viertel beliebt sein. Der Aufzug ist von LED-Licht gerastert wie ein Holodeck aus Star Trek. Im Restaurant Neni braust Stimmenlärm, alle 120 Plätze sind belegt. Bodentiefe Panoramafenster ersetzen hier den Weltraumbohei. Draußen ist es schon dunkel, und die unfassbare Lieblosigkeit, mit der Köln nach 1945 zusammengestümpert wurde, versinkt in ein gnädiges Ungefähr. Die nahöstlich orientierte Küche heißt hier eklektisch. Mein Menü wird auf einem Dutzend Tellerchen serviert, es braucht Etageren, damit sie alle auf den Tisch passen. Wie es schmeckt? Nicht erst vor der Zabaglione mit Popcorn und Granatäpfeln könnte ich auf die Knie fallen.
Den Drink nehme ich gleich nebenan in der Monkey Bar, die aussieht wie ein Biedermeiersaal für Raumfahrer. Wieder pastellfarbene Schalensessel, wieder Betondecken mit freiliegenden Versorgungssträngen. Dazu aber Eichenparkett und ein offener Kamin. Ein DJ legt Elektrobeats auf. Die Cocktail-Karte hat vier Sparten, ich wähle den Dä Aap-Nägroni aus der Sektion „Brutal lokal“: Gin, Kräuterschnaps, Campari, Wermut, die ersten beiden aus Kölner Destillen. Ein großartiger Drink von sinistrer Wucht.
Spätnachts bin ich zurück im Zimmer – und werde zum Alien. Schuld daran hat nicht der kölsche Affennegroni, sondern mein Bad. Dort ist der kreisrunde Spiegel von einer Leuchtröhre eingefasst, die meinen Pupillen beim Hineinsehen einen bizarr gleißenden Rand verleiht. Ein Effekt, der an fluoreszierende Kontaktlinsen erinnert. Den hat zwar niemand beabsichtigt. Aber dass er mir hier auffällt, kann kein Zufall sein. Wie schade, dass er sich kaum fotografieren lässt.