Gewusel im großen Stil
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Gewusel im großen Stil

DIE ZEIT, Nr. 44/2016

Gewusel im großen Stil

 

Der Stadtteil Bombarda ist Portos Kreativlabor. Im Rosa et Al Townhouse kann man es bewohnen.

Es braucht nicht viel, um ihr zu erliegen. Zu bezaubernd sind ihre Kurven, ihre Füße, ihre makellose Haut. Okay, man weiß nicht, wohin mit der Shampooflasche. Und ständig spritzt Wasser aufs Pinienparkett. Doch das sind die einzigen Makel der frei stehenden Vintage-Wanne im Rosa et Al. Wer schon morgens für ein Bad hineinsteigt, muss aufpassen, nicht den halben Tag in ihr zu verplanschen.

Und wenn doch – halb so schlimm. Das Rosa et Al Townhouse liegt in einer Gegend, in der man fünfe gerade sein lässt. Nördlich von Portos Altstadt haben sich rund um die Rua de Miguel Bombarda ein paar Straßenzüge mit der Zeit in ein Künstlerviertel verwandelt. Zwei Dutzend Galerien liegen hier nahe beieinander, hinzugekommen sind Cafés und Antiquitätenmärkte, Concept-Stores, Bioläden und Coworking-Spaces. Bombarda heißt das Revier, und seine Spezialität scheint die freie Verknüpfung von allem und jedem zu sein: In neuen Bars werden auch alte Plattenspieler oder die Design-Sardinenbüchsen eines lokalen Illustrators verkauft, in Modeboutiquen bei Live-Jazz nebenbei Sushi gerollt und Fotografien ausgestellt. Saubere Trennungen, klare Label? Engen nur ein.

Auch das zitronengelb gekachelte Rosa et Al mit seinen gerade einmal sieben Zimmern will kein normales Hotel sein. Es versteckt sich sogar. Lediglich der Name ist blindenschriftzart in die weiße Tür graviert. Der Ankömmling muss mit einem Klopfer poltern, dann tritt er in die Lobby – und wähnt sich in seine Babyboomer-Kindheit zurückversetzt. Chaiselongues und Polstersessel stehen auf schiefen Beinen, die Nierentische haben einen Messingrand. Man denkt an Frauen mit Bienenkorbfrisur. Doch das Mädchen an der Rezeption trägt Chucks und ein David-Bowie-T-Shirt. Noch bevor sie den Zimmerschlüssel hergibt, hat sie einen in ein philosophisches Gespräch über Lebenskunst verwickelt. In jedem anderen Hotel würde man jetzt mit der Stirn runzeln. Hier lässt man sich drauf ein.

Im riesigen Zimmer entfalten die Vintage-Möbel gleich eine ganz andere Eleganz als in der Lobby. Liegt es am neoklassizistischen Treppenhaus mit Glaskuppel, durch das man gerade aufgestiegen ist, oder an der jubelnden Lichtfülle im Raum? Jedenfalls bekommt, was vorher noch an die kleine deutsche Wirtschaftswunderwelt erinnerte, plötzlich einen weltläufigen Mid-Century-Charme: eine rauchgraue Couch auf Weberknechtbeinen, ein Sideboard mit delikatem Karamellglanz, zwei Kupferlampen, die sich an schwarzen Kabeln von der Stuckdecke abseilen.

Die Möbel sind perfekte Mittler zwischen der trompetenden Gründerzeit der ehemaligen Verlegerresidenz aus dem 19. Jahrhundert und dem Heute. Das Interieur wirkt cool und behaglich zugleich, verbindet den kühnen Aufbruchsgeist der sechziger Jahre mit der Sehnsucht nach einer aufgeräumten, heimeligen Welt. Je länger man in einem der schlichten Hans-J.-Wegner-Sessel Platz genommen hat, desto besser scheint diese Kombination nach Bombarda zu passen, zu dessen kreativem Durcheinander und dem Spaß am Zwischen-allen-Stühlen-Sitzen.

Dass einem dandyhafte Vollbäder am Morgen hier völlig normal vorkommen, hat aber auch einen anderen Grund: Frühstück gibt es erst ab neun Uhr. „So viel Boheme muss sein“, erklären die Besitzer Emanuel und Patricia de Sousa bei Spiegelei und Retro-Swing im Frühstücksraum, in dem man das Gefühl nicht loswird, irgendwo im Museum zu speisen. Patricia schmunzelt immerzu, Emanuel trägt Vollbart zum exklusiven Camouflage-Shirt. Nachdem die Geschwister das hinfällige Haus 2012 gekauft hatten, ließ der ausgebildete Architekt Emanuel alle Veränderungen der letzten Jahrzehnte zurückbauen. Den supermodernen Kontrapunkt setzte er erst kürzlich: Das siebte Hotelzimmer ist ein Pavillon aus Glas und Stahl und befindet sich in einem Hinterhofgarten, in dem Kräuter wachsen und Objets trouvés an einer Mauer lehnen – charismatisch zerschrammte Türen von früher. Auch die Inneneinrichtung hat Emanuel besorgt. Den Frühstücksraum kaufte er fast im Ganzen: Er besteht wesentlich aus dem Inventar eines alten Ost-Berliner Cafés.

Patricia, früher Managerin, kümmert sich – ihr Ausdruck – um die „Software“ des Hauses. Sie hat sich Kochkurse einfallen lassen, Tee-Zeremonien, Yoga-Veranstaltungen, Meditationswochenenden und Strickworkshops. Und sie lässt mit charmanter Maßlosigkeit das schöpferische Chaos von Bombarda durchs Entree branden. Auf mehreren Regalbrettern drängt sich ein portugiesischer Basar von der Designer-Portweinflasche bis zur Lavendelseife. Sogar Badezusätze bietet Patricia an, darunter einen aus Roséwein vom Douro.

Nimmt die Gentrifizierung Bombardas also Fahrt auf? Patricia will davon nichts wissen. „Wir waren hier schon immer Dickschädel“, sagt sie. „Oder siehst du irgendwo einen Starbucks? Wir werden nie Kaffee aus Eimern trinken, und gegen unsere Pastéis de Nata haben Donuts sowieso keine Chance.“ Bingo, denkt man, bestimmt hat Patricia recht. Und gibt beim nächsten Bad selbst ein wenig den Dickschädel: Der Rosé kommt ins Glas und nicht in die Wanne. Die Graswurzelkreativen von Bombarda würden es genauso machen.

 

Unterwegs im Viertel

Schritt über die Grenze: Casa da Música

Portos Architekten sind berühmt für Werke, die sich perfekt in ihre Umgebung einpassen. Ein so krasses Trumm wie die Casa da Música musste dann schon ein Niederländer bauen: Eine Viertelstunde Fußmarsch nordwestlich von Bombarda entfernt hat Rem Koolhaas die Konzerthalle 2005 wie einen kubistischen Meteoriten auf Travertinplatten stürzen lassen. Die Gründerzeithäuser gegenüber schauen verdutzt aus ihren Kachelfronten, als könnten sie so viel Chuzpe bis heute nicht fassen.

Francesinha

Gleich vorweg: Die Francesinha ist das Grauen für jeden Kardiologen. Aber wer mitreden will, kommt um den Snack nicht herum. Die ganze Stadt diskutiert über die beste Zubereitung des Sandwichs, das man in Porto erfunden hat und auch in Bombarda an jeder Ecke mampft. Es besteht aus zwei Weißbrotscheiben, zwischen denen Rindfleisch, Mortadella und Mettwurst stecken. Obendrauf kommt ein Spiegelei, dann wird alles kompakt mit Käse überbacken. Weil der Dotter durch die gelbe Hülle schimmert, glotzt einen die „kleine Französin“ nach dem Servieren an wie ein einäugiger Minion. Der Clou aber ist die rauchige Soße aus Bier, Brandy, Brühe, Mehl, Tomaten und Butter. Was man dazu trinkt? Ein Bier aus Portos größter Brauerei, schon allein des Namens wegen: Super Bock.

Igreja do Carmo

Wie ein Berg im Brautkleid erhebt sich die Kirche Igreja do Carmo am Südrand Bombardas: Im aufklärerischen 18. Jahrhundert wollte der Katholizismus noch einmal zeigen, wo’s langgeht, und beauftragte den damaligen Stardekorateur Nicolau Nasoni mit der Rokoko-Fassade. Innen prunkt das Gold der brasilianischen Kolonien, und seit 1912 erzählt ein gigantisches Fliesendekor an der rechten Außenseite die Geschichte des Karmeliterordens. So viel Kirche muss sein bei einem Porto-Besuch.

Jardins do Palácio Cristal

Porto liegt am Atlantik. Bloß sieht man das Meer so gut wie nie. In den Jardins do Palácio Cristal lässt sich das ändern. Ein paar Schritte von der Rua de Miguel Bombarda entfernt befindet sich der Park, den romantisch zu nennen untertrieben wäre: Pfauen stolzieren durch Lindenalleen, in Teichen glimmt Entengrütze, efeuumrankte Statuen balancieren Kugellampen über ihren Köpfen. Mehrere „Miradouros“ führen den Douro vor. Doch in Höhe des Museu Romántico, wo sich hängende Gärten in die Stadt stürzen und Liebespaare um die Wette knutschen, flimmert er endlich hinter der letzten Flussbiegung im Platinlicht: der Ozean.

Route 199

Portwein? War das nicht dieses klebrige Gesöff aus dem Spirituosenschränkchen von Tante Ute? Sicher. Aber es gibt viel mehr als solche süßen Fruchtbomben. Herb-trockenen White Port zum Beispiel. Wem der pur immer noch nicht cool genug ist, trinkt ihn gemischt mit Tonic als „Portotonic“. Spektakulär schmeckt der Drink im Route 199, wo man das allgegenwärtige Garagengewerbe Bombardas aufgreift: Hier zieren echte Motorräder auf zwei Regalreihen die Wände.

Rua José Falcão 199

Patch Concept Store

In Porto wird das Geld verdient und in Lissabon ausgegeben, sagen die Portuenser. Vielleicht sind die Preise deswegen fast beschämend niedrig im Patch Concept Store, der alles zu haben scheint, nur kein Konzept – und deswegen Bombarda so gut verkörpert. Schaufensterpuppen im Sixties-Look räkeln sich in Liegestühlen, Geweihe aus bunten Holzlatten stechen von der Wand. Divenhüte stehen neben selbst gebastelten Florarien, und überall leuchten die schrulligen Lampendesigns des Besitzers Artur Mendanha. Wer je daran zweifelte, dass Stöbern eine Kunst sein kann – hier ist er davon überzeugt.