11 Feb Das Hotel-ABC
DIE ZEIT, Nr. 44/2023
Hotel-ABC: A wie Auswahl
Wie finde ich das Hotel, das zu mir passt? Von der Qual der Wahl zwischen Worthülsen, frisierten Fotos und Bewertungspedanten
Manchmal hat man einfach keine Wahl. Damals in Colón zum Beispiel. Das schimmelzerfressene Gomorrha am atlantischen Eingang des Panamakanals gehörte um die Jahrtausendwende zu den gefährlichsten Städten der Welt. Wer eine Übernachtung nicht vermeiden konnte, buchte das New Washington Hotel und fertig: Der martialisch bewachte Kolonialpalast galt laut Lonely Planet als die einzige sichere Herberge. Dass dort mörderische Desinfektionsmittel einem den Atem raubten, roststarrende Klimaanlagen über den Stuck sabberten, Angestellte einen behandelten wie ein lästiges Insekt? Unwichtig. Der Gast drehte zur blauen Stunde im moosbewachsenen Swimmingpool seine Runden und lauschte in wunderlicher Angstlust dem Hall ferner Pistolenschüsse, der mehrfach über die Mauern wehte.
Friedlichere Destinationen machen bei der Auswahl eines passenden Hotels mehr Arbeit. Der Bammel gilt dann eher der Gefahr, sich auf einem der Online-Buchungsportale wie Booking, Expedia oder HRS falsch zu entscheiden. Und die haben ihre Tricks. Es beginnt damit, dass die vielversprechendsten Einträge nicht etwa ganz oben stehen, sondern dass diesen Platz jene Häuser einnehmen, die am meisten Provision bezahlen – bis zu 25 Prozent jeder Buchung gehen an die Plattformen. Wer sich auskennt, filtert deswegen nicht nach Schwurbelkriterien wie »Unsere Top-Tipps« oder »Wir empfehlen«, sondern beispielsweise nach dem niedrigsten Preis. Und er weiß, was zu halten ist von Daumenschrauben à la »Nur noch zwei Zimmer zu diesem Preis verfügbar«. Die Knappheitsmeldung mag für das Portal gelten – das Hotel selbst meldet dagegen häufig viele Vakanzen in der gleichen Kategorie.
Wer keine Gelegenheit zum Sparen ungenutzt lassen will, setzt zudem auf das, was man nicht so richtig beweisen, aber durchaus erleben kann: Trotz aller Dementis der Portale richtet sich der Preis offensichtlich auch nach dem Endgerät, mit dem gebucht wird. Nach Ansicht der Vermittler bezahlen Menschen, die von einem teuren iPhone 14 Pro aus operieren, anstandslos mehr für ihr Zimmer. Wer auf sein Geld achtet, hat mit einem alten Android-Handy bessere Karten.
Andere Portale versprechen vorteilhafte Luxusangebote, nachdem man eine Mitgliedschaft abgeschlossen hat. Sie heißen etwa Asmallworld Collection oder Classic Travel und bieten in der Regel den Preis der Platzhirsche, packen aber Extras drauf wie kostenloses Frühstück, Early Check-in und Late Check-out, Upgrades, Willkommensgeschenke oder Guthaben für das Spa. Schnäppchen machen Besserreisende auch in Businessdistrikten am Wochenende, wenn die Aktenkofferträger weg und teure Hotels im Frankfurter oder Londoner Bankenviertel 20 bis 25 Prozent billiger sind.
Kein Bling-Bling von der Stange wollen Plattformen wie Pretty Hôtels, Welcomebeyond oder The Aficionados bieten. Sie verstehen sich eher als Juwelenkisten mit sorgsam kuratierten Preziosen. Hier wird mit Feinsinn ausgewählt. Pretty Hôtels will dabei den Eindruck erwecken, als gebe es seine Geheimtipps nur an gute Freunde weiter. Mit einem guten Dutzend Kategorien liefert die deutsche Plattform Individualreisenden inspirierenden Lesestoff, gebucht wird später auf der jeweiligen Hotel-Webseite.
Das ist sowieso eine gute Idee, um sich ein genaueres Bild zu machen und vielleicht günstigere Preise zu bekommen. Doch auch dort hat man es zuweilen mit der berüchtigten Katalogprosa zu tun, die eine aufmerksame Floskel-Exegese verlangt. So kann etwa ein »beheizbarer Pool« bedeuten, dass man das Wasser lediglich von 15 auf 16 Grad erwärmt – nur auf einen »beheizten Pool« ist im Zweifelsfall Verlass. Es wäre auch ein Fehler, sich unter einer »internationalen Atmosphäre« das anregende Air weltläufiger Geistesmenschen vorzustellen. In Wahrheit ist das ein Code für Trunkenbolde aus aller Herren Länder, die sich allabendlich die Kante geben. Und wo von einer »Zentralheizung« die Rede ist, sollte man nachhaken. Der Gast sucht sonst womöglich im Zimmer vergeblich nach einem Thermostat. Stattdessen wird die Temperatur woanders für alle geregelt. Wer schon einmal im klammen Wales nach zusätzlichen Decken fragen musste, weiß, welchen regionalen Variationen der Kältebegriff unterliegen kann.
Aber nicht nur die Worthülserei führt auf falsche Fährten. Auch den Fotos von Anbietern ist zuweilen nicht zu trauen. Zum Beispiel, wenn sie einen großzügigen Swimmingpool zeigen und man erst beim dritten Blick erkennt, dass der in Wahrheit zum Nachbarhotel gehört. Dann helfen Satellitenaufnahmen auf Google Earth, um zu überprüfen, ob das Haus tatsächlich einen Pool hat, am Strand liegt oder so weitläufig ist, wie die Webseite es verspricht. Bei Pensionen sind es die Extreme, die stutzig machen sollten: Wenn so gut wie keine Bilder verfügbar sind – oder jede Aufnahme aussieht, als entstamme sie einem Fotoshooting für Designmagazine. Zeigt ein Hotel keine einzige Außenansicht, reist man vielleicht voller Vorfreude an – und schafft es dann, angesichts der lähmenden Trostlosigkeit einer bunkerhässlichen Fassade, kaum aus dem Taxi. Die Gefahr, dass das Gebuchte in der Realität wirkt wie der verlotterte Vetter der eigenen Fantasievorstellung, ist jedenfalls nie fern.
Hat man Punkte wie Preis, Lage oder Verfügbarkeit gecheckt, kann man außerdem die Gästebewertungen ansteuern – und landet dann dank vorinstallierter Übersetzungscomputer oft auf einer Kirmes des Absurden. Manche Urteile haben einen Sound, als habe sie der minderjährige Bruder von Ernst Jandl verfasst: »Der Boden sprudelt, wo er von der Dusche undicht«, »Kakerlak macht Kuckuck mit seinen gigantischen Antennen«, »Klimaanlage war lauter als Weltkrieg Zwei«. Solche Lektüre macht Spaß, hilft einem aber selten weiter, selbst wenn sie hinausläuft auf ein pauschales: »Es gibt keine erlösende Qualität in diesem Hotel.« Der zwanghafte Phänotyp des deutschen Vielbewerters mit Hunderten von Kommentaren produziert dagegen Komik durch einen Blick, an dem Dr. Röntgen seine Freude gehabt hätte. In gnadenloser Strenge zählt er wie bei einer Inventur jeden Hygieneartikel einzeln auf und jagt die kleinste Staubflocke. Sein Fokus ist pedantisch wie bei einem professionellen Hoteltester: Das Glas ist immer halb leer, nie halb voll.
Das Unverlässliche solcher Zufallsbefunde ändert nichts daran, dass positive Bewertungen für die Hotels wichtiger sind als jede Werbemaßnahme. Darum können sich Hotels bei Agenturen wie Fivestar Marketing längst lobende Kommentare kaufen; eine »echte« Tripadvisor-Bewertung kostet dort 12,90 Euro, eine für Holidaycheck gut vier Euro mehr. Am besten betrachtet man all die Einlassungen wie den Publikumsjoker einer Quizshow, dem auch nur Näherungswerte zugebilligt werden. Und man vertieft sich höchstens in die mittelguten Bewertungen. Haltlose Verrisse stammen oft von ewigen Nörglern, und überschwängliche Lobeshymnen können Gefälligkeiten sein.
Selbst wenn Rezensionen den Eindruck machen, das Fegefeuer sei gegen dieses Hotel ein freundlicher Ort, landet es in der Gesamtbewertung häufig überraschend weit oben. Das liegt an der algorithmisch ausbalancierten Zusammenschau verschiedener Kategorien, bei denen positiv bewertete Nebensächlichkeiten negative Urteile über andere, wichtigere Aspekte abmildern und auf diese Weise das Endergebnis schönen. Manche Kritik kann einem als Gast aber auch herzlich egal sein, je nachdem, wie die eigene Hotelroutine aussieht: Einen Frühaufsteher muss nicht kümmern, wenn ein Haus Punktabzug bekommt, weil sich das Frühstücksbuffet ab zehn Uhr morgens wie geplündert präsentiert.
Beim einstigen Aufenthalt im panamaischen New Washington Hotel hätten großzügigere Frühstückszeiten auch nichts mehr reißen können: Das mit Speiseresten verklebte Besteck wirkte abschreckend genug, um vom Büffet Abstand zu nehmen.
Hotel-ABC: I wie Interieur
Gläserne Bäder und sture Lichter
Kein Wort über das Bett. Da stehen die Abmessungen fest, haben Einrichter von Hotelzimmern wenig Spielraum zwischen Queen- und Kingsize. Es wäre nur schön, wenn sie sich auch sonst an royalen Maßstäben orientierten. Tun sie aber selten. Dabei sollte das Interieur vor allem eins: dem Gast zu Diensten sein.
Der erste Service stünde an, nachdem die Tür ins Schloss gefallen ist – der Reisende muss irgendwo sein Gepäck abstellen. Doch es fehlt eine Ablage, auf der sich ein Koffer gut aufklappen ließe. Mitunter entdeckt man einen Ständer zum Selbstauffalten im Kleiderschrank. Aber dann rempelt man im kleinen Zimmer ständig dagegen. Aus diesem Grund kommt auch der Boden als Aufbewahrungsort kaum infrage: In der Hotelmacherlogik sind Lobbys Wohnzimmer und Zimmer Schlafräume, weswegen die oft wirken, als habe man die Wände um das Bett herumgemauert.
Also müssen die Klamotten in den Schrank. Der ist zwar alles andere als der geborene Provokateur. Dennoch schaffen es immer mehr Hotelspinde, einen sofort zu beleidigen – mit Kleiderbügeln, die an einem fest installierten Ring ein- und ausgehängt werden müssen. Die Botschaft: Wir verdächtigen dich als Kleiderbügeldieb!
Der nächste Unmut baut sich beim Händewaschen auf. Statt über Becken klassischen Zuschnitts erledigt man das heute über seltsam steilen Gebilden, die den Platz eines Spucknapfes gewähren. Oder es sind eckige, an Futtertröge erinnernde Trümmer aus Naturstein, die auf schmalen Simsen stehen. Weil Interior Designer alles verbannen, was ihr ästhetisches Konzept stören könnte, sucht der Gast vergebens nach einer Ablage für Waschzeug, Schmuck und Handtücher. Interieur ist auch das, was fehlt.
Andererseits greift das Bad hinaus ins Zimmer: Beide Zonen sind oft nur noch durch Milchglaswände voneinander getrennt. Privatsphäre gilt als überholt, man tut, als gäbe es nichts Schöneres, als dem Partner – wenn auch schemenhaft – bei seinen Hygiene- und Stoffwechselverrichtungen zuzusehen. Sie vollziehen sich, vom Bett aus betrachtet, in einer Art Raucherkabine, die sich vom Flughafen ins Privateste verirrt zu haben scheint.
Vielleicht beobachtet man den anderen auch von der Badewanne aus, die zuweilen vollends frei im Raum steht. Dort liegt man dann wie ein Pharao in seinem Sarkophag, nur weniger bequem. Wer sich im Schaum nicht fragt, wie er aus dem klobig-hohen Ding wieder herauskommt, macht sich Gedanken darüber, ob er später badenass das Parkett versaut oder auf dem glitschigen Steinboden langschlägt.
Wer lieber fern- als ins Bad sieht, muss Glück haben, dass der Screen so angebracht ist, dass man ihn ohne Halsstarre betrachten kann. Mit zunehmender Größe der Bildschirme ist ihre Platzierung nicht einfacher geworden.
Etwas ähnliches gilt für Sessel, Stühle und Schreibtisch, die Platz wegnehmen, weil allerorts die Zimmer schrumpfen. Also gibt es trotz Doppelbett oft nur noch eine einzige Sitzgelegenheit. Und der Schreibtisch wird zum Bord verschlankt, denn hey, arbeiten wir nicht alle eh vom Bett aus, den Laptop auf den Beinen?
Vielleicht hat es mit der Leuchtkraft unserer Handys zu tun, dass sich die Zimmerbeleuchtung inzwischen arg zurücknimmt. Statt einer Deckenlampe sorgt ein Ensemble von Spots für mickriges Licht. Das lässt sich allerdings nicht so einfach ausschalten, wie man es gern hätte. In wachsender Verzweiflung tippt man auf die Schalter ein und verwandelt das Zimmer in eine flackernde Geisterbahn statt in ein Schlafgemach. Dann ist es plötzlich finster, als habe man wie beim finalen Dreh an einem Zauberwürfel aus Zufall das Richtige getan. Ganz finster? Nein, in irgendeiner Ecke glimmt noch ein renitentes Nachtlicht, fest entschlossen, einem den Schlaf zu zerfunzeln.
Besiegt man endlich auch das, ist der Weg frei für Träume im Kingsize-Format.