Am Abend einen Joint
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Am Abend einen Joint

DIE ZEIT, Nr. 3/2008

Am Abend einen Joint

 

… und der Mönch ist dein Freund: In der bizarren Tempellandschaft des südindischen Hampi suchen Rucksacktouristen und hinduistische Gurus gemeinsam ihren Seelenfrieden

Und Hanuman? Hanuman, der Affengott? Was hält der eigentlich davon? Zugegeben, inbrünstiger, als die fünf Australier am Chillum saugen, kann man Cannabis gar nicht zu sich nehmen. Aber ein kicherndes Kiffergelage mitten in Hanumans Tempel? Ausgerechnet auf dem Anjaneya-Hügel, wo der von Millionen Hindus verehrte Diener Ramas zur Welt gekommen sein soll? Gleich wird der Tempelwächter die Kerle hinauswerfen, was denn sonst. Doch der lächelt bloß. Lächelt wie eine indische Sphinx und nimmt selbst tiefe Züge. Sein nur mit Holzperlenketten bekleideter Oberkörper hat die Farbe von altem Messing. Und mit den langen Locken und der dicken goldenen Uhr sieht er aus wie ein Kerl, der Schlag bei Frauen hat. Jedes Mal, wenn die Haschpfeife die Runde gemacht hat, haut er auf einen Gong. Dann lacht er und greift von Neuem in eine Tüte voller Ganja.

Es dauert nicht lange, bis sich nur noch einer der Burschen auf den Beinen halten kann. Es ist ein kahl geschorener Hüne mit einer einsam baumelnden Haarsträhne am Hinterkopf. Bedächtig tritt er durch die Tempeltür ins Freie. In seiner linken Hand hält er einen Schokoriegel, den er gerade für 50 Rupien vom Tempelwächter gekauft hat. Die andere umklammert ein Didgeridoo. Glasigen Blicks stiert der Mann aus Brisbane minutenlang auf die Welt unter ihm. Dann öffnet er langsam seinen Mund. „Magisch“, flüstert er, als sei es sein Mantra. „Magisch. Magisch. Alles magisch.“

Dieses Wort hört man hier unentwegt. Und das ist verständlich. Denn die Landschaft rund um das südindische Hampi präsentiert sich auch ohne Ganjarausch wie im Traum. Gerade hat sich eins der letzten Monsungewitter verzogen, nun dampft sie in der Abendsonne wie eine Laune der Geologie. Zwischen Palmenhainen windet sich die Silberschlange des Tungabhadra-Flusses, und in alle Himmelsrichtungen ragen Hügel, die von Granitbrocken übersät sind. Manche liegen wie Meteoriten herum, andere haben sich zu kleinen Gebirgen verkeilt, wieder andere ragen übereinandergestapelt als kühne Türme in die Luft. Als hätte ein Riesenkind vergessen, seine Bauklötze aufzuräumen.

Zu allem Überfluss stehen auch noch Dutzende von Tempelruinen in diesem Kindergarten der Natur. Sie alle sind Reste des 1565 untergegangenen Vijayanagar. Verteilt auf 26 Quadratkilometer, bilden sie das größte Ruinenfeld Indiens. Die einstige „Stadt des Sieges“ war die Kapitale von Vijayanagara, dem letzten und mächtigsten hinduistischen Königreich, das sich über die ganze Südhälfte des Subkontinents erstreckte. Zwei Jahrhunderte lang widerstand es dem von Norden her anstürmenden Islam. Doch als sich die Sultanate verbündeten, endete Vijayanagars Herrlichkeit in einer entsetzlichen Schlacht. Auf Hunderten von Elefanten retteten die Hindu-Herrscher ihre Schätze. Die Metropole aber ging in Flammen auf.

Am Fuß des Hanuman-Hügels erwarten Rikschafahrer ihre Kundschaft mit der schläfrigen Aufmerksamkeit von Krokodilen. Sobald ein Besucher aus dem Gesteinswirrwarr der Erhebung tritt, lassen sie nicht von ihm ab, bis er in einem ihrer Gefährte Platz genommen hat. Dann braust man durch Bananenfelder ins Herz der einstigen Großstadt. Es ist der nur wenige Kilometer südlich gelegene Tempelbezirk an den Ufern des Tungabhadra-Flusses. Aus der Ferne wirken seine überreich geschmückten Ruinen, als habe sich ein kunstsinniges Termitenvolk ein Denkmal setzen wollen. Dann tritt man näher und schmökert in den fein gemeißelten Säulen und Wänden wie in opulenten Comics. Tempeltänzerinnen mit Ballonbrüsten und üppigen Schenkeln prangen im Stein, Krieger, sich aufbäumende Elefanten und immer wieder der tanzende Schiwa. Man schaut und schlendert und staunt und vergisst sogar die klebrige Schwüle.

Doch so leicht gibt die indische Gegenwart sich nicht geschlagen. Allenthalben ziehen willensschwache Wasserbüffel mit Zuckerrohr beladene Karren herum. Voll bekleidete ernste Menschen baden im heiligen Wasser des Flusses. Sie scheinen gar nicht zu bemerken, dass gleich neben ihnen auf einer halb versunkenen Säulenhalle Frauen die Seifenlauge aus ihrer Wäsche prügeln. Ein Stück weiter krakeelen Bauchladenmänner; und überall gehen Kühe ihrer Aufgabe nach, da zu sein.

Im Zentrum der verstreuten Tempelanlagen liegt das Dorf Hampi. Man betritt es auf einer breiten Straße, die von zweistöckigen Pfeilerhallen gesäumt wird. Hier standen einst die Honoratioren Vijayanagars und verfolgten die Prozessionen zum Virupaksha-Tempel am Ende der Magistrale. Die heutigen Bewohner haben ihre Läden in die Relikte gezwängt. Manche der Alkoven wurden mit Werbelettern bepinselt, andere mit Ziegelsteinen und Zement eigenhändig erweitert, um Platz zu schaffen für die Manifestationen des internationalen Rucksacktourismus. Denn der hat Hampi fest im Griff. Ringsum sieht man Internet-Cafés und Reisebüros, Schmuck- und Klamottenstände, ayurvedische Massagebuden und Kioske, die vom Klopapier bis zum Nutella-Glas fast jedes Traveller-Bedürfnis befriedigen.

Vor 22 Jahren verlieh die Unesco Hampi den Status eines Weltkulturerbes. Seitdem hadert der Ehrgeiz der Bürokraten, Hampi zum Freilichtmuseum zu machen, mit dem Chaos der indischen Wirklichkeit. Zwar steht der Ort auf einer Stufe mit archäologischen Stätten wie dem mexikanischen Chitzen Itza oder Angkor in Kambodscha. Doch während dort die Ruinen dem wirklichen Leben entzogen und für den Pauschaltourismus aufbereitet sind, blüht in Hampi indischer Erwerbseifer in jedem Winkel.

Dabei sind die Backpacker nur die touristische Nachhut. Denn seit je kommen jährlich Zehntausende von Pilgern nach Hampi, das mit seinem phallisch aufragenden Virupaksha-Tempel ein Zentrum des Schiwa-Kultes ist. Zudem gilt der Ort als Refugium für Sadhus. Rund 150 dieser religiösen Aussteiger leben hier. Und einer sieht wilder aus als der andere. Ihre Mähnen sind verfilzt und ihre Fingernägel zu Krallen gewachsen. Manche bedeckt eine zweite Haut aus Asche, die ihnen alles Lebendige zu rauben scheint. Sadhus wollen durch Entsagung der Tyrannei der Seelenwanderung entkommen und schneller im seligen Nichts aufgehen. Die meisten kauern den ganzen Tag in den Felsnischen rund um Hampi.

Gleich unterhalb des Achuta-Raya-Tempels liegt die Nische von Isharappa. So heißt der zaundürre Alte, der sich das Dreizack-Emblem des Gottes Schiwa auf die Stirn gemalt hat. Darunter blicken zwei riesige Augen wie die eines immerzu verblüfften Kindes. Doch wenn ihn jemand fotografieren will, kommt Bewegung in den Siebzigjährigen. Dann zeigt er auf seine Bettelschale, kramt einen Personalausweis hervor und pocht mit seinem Krallenfinger auf einen Eintrag unter dem Polizeistempel. „Profession: Sadhu“ steht dort in tanzender Schreibmaschinenschrift zu lesen.

Die Bettelmönche lockten schon in den Sechzigern Hippies aus dem Westen an, die es ihren Idolen nachtaten und nackt in Höhlen hausten. Doch richtig ins Blickfeld der Sinnsucherszene geriet Hampi erst in den neunziger Jahren. Seitdem trifft sie sich abends in Dachrestaurants von psychedelischer Buntheit, um dort die neuesten Selbsterfahrungsmoden auszutauschen und den überforderten Kellnern Gerichte wie Bircher-Müesli oder Tagliatelle alla Siciliana in die Notizblöcke zu buchstabieren.

Eins dieser Lokale ist das Om Schiwa. Karl kommt fast jeden Abend hierher. Der Münchner hat die Figur eines Blumenstängels, und in seinem Gesicht wuchert ein Vollbart von esoterischer Eindringlichkeit. „Wegen dem Stonehenge-Feeling“ sei er in Hampi hängen geblieben, erklärt er und schwärmt vom Kiffen auf den Hügeln, von den Full-Moon-Partys und vom FKK-Baden im Tungabhadra-Fluss. Dass dieses Vergnügen in Indien so willkommen sein dürfte wie ein Pornodreh in der Basilika von Altötting, kommt ihm nicht in den Sinn.

Dann erhebt er sich und versucht, Backpackern Yoga-Workshops anzudrehen, um seine Ferienkasse aufzubessern. Aber der Dauerurlauber hat heute kein Glück. Die beiden Japanerinnen in bunten Pumphosen winken ebenso ab wie der Brite mit den Germanenzöpfen und die gesichtsgepiercte Dänin. Karl grient etwas verkrampft und bestellt sich noch ein Lassi. Ein Bier wäre ihm lieber. Doch Alkohol ist in Hampi verboten. Im Hintergrund läuft der hinduistische Erleuchtungspop des späten George Harrison, und im Fernseher tobt eine Reklame für Masala-Chips.

Das Ruinenspektakel des alten Vijayanagar ist längst zu einer Filiale jener transasiatischen Gesamtjugendherberge geworden, in der sich die Backpacker nach eigener Fasson von der Farblosigkeit ihrer Heimatländer erholen. Die Zahl der Unterkünfte in Hampi hat sich deswegen in den vergangenen zehn Jahren auf mehr als hundert Guest-Houses versechsfacht. Das sorgt für ein bisschen Wohlstand, aber nicht für gute Stimmung. Mit jedem weiteren Touristen wüchsen Missgunst und Gier im Ort, hört man die Einheimischen klagen. Aber auch für die Besucher wird es ungemütlicher. In den Pensionen sind neuerdings Verhaltensregeln an die Wand gemalt. Sie empfehlen, nachts nicht allein über die Ruinengelände zu wandern und keine Speisen oder Getränke von Fremden anzunehmen. Oft würden sie Schlafmittel enthalten, und die Ausgeraubten könnten sich anderntags an nichts mehr erinnern.

Die Sadhus haben sich mit den gelockerten Sitten offenbar gut arrangiert. Zumindest die Beamten der Polizeistation trauen den heiligen Männern nicht über den Weg. Das sonst hart bestrafte Cannabisrauchen sei ihnen zwar aus religiösen Gründen erlaubt, sagen sie. Aber nicht der Verkauf der Droge an die Touristen. „Doch genau das ist hier ständig passiert“, verkündet Hampis Polizeichef und streicht sich seinen Riesenschnurrbart aus den Mundwinkeln. „Darum haben wir vor einem Jahr alle Sadhus aus ihren Höhlen vertrieben.“ Er schreitet breitbeinig zur Tür und spuckt einen stolzen Bogen Betelsaft auf die Straße. Seine Kollegin im olivgrünen Uniform-Sari mit gelben Rangabzeichen schlenkert zustimmend ihren Kopf.

Allerdings haben auch die örtlichen Gesetzeshüter nicht den besten Ruf. Viele Guest-House-Betreiber erzählen, sie würden von der Staatsmacht erpresst und müssten ihre Zimmer umsonst abtreten. Es wird wohl seinen Grund haben, dass in der Wache ein Poster von Lakschmi an der Wand hängt. Das beliebte Motiv der Glücksgöttin zeigt, wie sie ihre Hände hebt und aus den Innenflächen Geldmünzen regnen lässt.

Govinda Achary geht das alles nichts an. Der sitzt seit 20 Jahren im Malyavantha-Ragunatha-Tempel und meditiert. Wer ihn trifft, mag das kaum glauben. Denn abgesehen vom Geschlinge seiner Dreadlocks und der breiig bemalten Stirn ginge der Guru auch als launiger Fernsehkoch durch. Über seinem Schneidersitz teilt sich eine rote Kutte und entblößt ein feistes Bäuchlein. Die helle Stimme, mit der er aus der heiligen Schrift Bhagavadgita rezitiert, hat die aufgekratzte Energie eines Mannes, der gern Witze erzählt. Askese und Kontemplation stellt man sich anders vor.

Hinter dem Tempel gibt es einen Aschram. Dort wohnen Govindas 15 Jünger. Es sind junge Sadhus, die zwei, drei Jahre bei ihm bleiben, bevor sie zu einem anderen Meister weiterziehen. Sie sitzen auf dem Boden und kiffen, was das Zeug hält. Schließlich habe Schiwa die Cannabispflanze zu Zwecken der Meditation geschaffen, sagt der Bursche mit den dicksten Locken und macht sich an die Auslegung seiner Sucht. „Hier, das Chillum. Schlank und doch rund. Es ist ein Symbol für Schiwas Körper“, erklärt er. „Das Marihuana steht für seinen Geist, und der Rauch ist ein Gleichnis für Schiwas Anwesenheit.“ Dann nimmt er einen gewaltigen Zug und bläst die Metapher für die Präsenz des großen Weltzerstörers im hinduistischen Pantheon hoch zur Decke. Es gibt eine Küche, in der Frauen mit Geschirr klappern. Und im Nebenraum umlagern drei blutjunge Sadhus einen Fernseher, aus dem MTV India plärrt. Was ist Govindas Aschram – ein Ort der Andacht? Oder ein Asyl für Phlegmatiker?

Auf einem der Hügel in der Nähe des Vitthala-Tempels finden sich einige Rucksackmenschen zum nächsten Sonnenuntergangsfeuerwerk ein. Wie immer lockt die Anwesenheit von Fremden eine Abordnung der männlichen Dorfjugend an. Im Kontrast zum spirituellen Lotterlook der Weißen wirken die Inder in ihren messerscharf gebügelten Hemden wie Beamte einer Sonnenuntergangsbehörde auf Inspektion. „Your name? Your country?“, fragen sie, stolz, ihr Englisch zu erproben. Mit vereinten Kräften gelingt es ihnen sogar, zu erklären, was diese kniehohen Steintore bedeuten, die hier oben herumstehen. Es sind Bestandteile eines Fruchtbarkeitsrituals. Paare, die sich Kinder wünschen, stellen zwei Steine hochkant nebeneinander und legen einen dritten als Dach darüber. Ist das Kind geboren, kehrt das Paar zurück und entfernt das Dach. Übrig bleibt eine kleine Ruine.

Die Backpacker nicken, entzünden den nächsten Joint und stieren wieder in die sinkende Sonne. Als sie hinter dem Horizont verschwunden ist, badet Vijayanagars gigantischer Steingarten in einer Flut aus honiggoldenem Licht. Doch an diesem Abend kann man den Blick kaum heben. Man starrt nur gerührt auf diese winzigen, aus Hoffnung und Sehnsucht errichteten Steinskulpturen. Es fehlt nicht viel, und man würde dem Israeli nebenan auch so ein dämliches „Isn’t it magic?“ zuraunen. Und wer weiß. Vielleicht hätte man sogar recht.