Auf dem Sonnendeck
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Auf dem Sonnendeck

DIE ZEIT, Nr. 43/2019

Auf dem Sonnendeck

 

Vom Hotel Halde aus blickt man weit in den Schwarzwald hinein und fühlt sich dem Himmel sehr nah.

Reservierungen werden unter dem Betreff „Bergpost“ versendet. Die Sauna heißt „Bergspa“. Und um Personal wirbt das Hotel mit dem Aufruf „Gipfelstürmer gesucht“. Nun ja, dachte ich mir. Der Schwarzwald mag unser höchstes Mittelgebirge sein. Aber ist das nicht ein bisschen viel Alpinbohei?

Immerhin: Die Anfahrt ist ein Aufstieg. Kurve um Kurve erklimme ich im zweiten Gang, durch einen Fichtenwald, der immer finsterer wird. Irgendwann reißt er ab, und das Licht explodiert. Seitdem ist es, als sei ich nicht zum Freiburger Hausberg Schauinsland, sondern in den Himmel aufgefahren. Zackige Gipfel sind zwar keine zu sehen. Aber dafür gewaltige Hügel, die erst am Horizont im Sonnengold verpuffen. Ihre Dörfer verstecken sie so raffiniert in Tälern, dass einem Kanada dagegen überbevölkert erscheinen muss. Wer hier oben ankommt, will nicht mehr weiter. Und das muss er ja auch nicht. Denn fürs Bleiben gibt es das Hotel Die Halde.

Das Hausensemble steht einsam in den Wiesen, als sei es eigens für ein Landschaftsgemälde dorthin gestellt worden. Ein Kleid aus vergrauenden Schindeln, das typische Walmdach tief heruntergezogen. Auf der Ausflugsterrasse bearbeiten Kinder ihre Eisbecher, halten Eltern Gläser mit stahlgrünem Gewürztraminer kennerhaft schräg gegen die Sonne. Wenn ich nicht rund ums Hotel Protestschilder sehen würde gegen die drohende Verhässlichung durch Windräder, ich könnte mich in die heile Welt der Fünfzigerjahre versetzt fühlen, als der Schwarzwald noch ganz Westdeutschland mit Sehnsuchtsbildern belieferte.

Die Halde bewirtet Gäste schon seit knapp sieben Jahrhunderten. Der uralte Hof steht immer noch, das einstige Gästehaus musste bei der Sanierung vor 20 Jahren allerdings einem sechsgeschossigen Neubau weichen. Sein Äußeres ist vom alten Trakt kaum zu unterscheiden. Doch in der Lobby sieht es aus, als habe hier eine Bauhaus-Klasse mit Holz experimentiert. Kein Kitsch, keine Schnörkel, keinerlei schwarzwaldtypische Überdekoration. Nur Fichte und Eiche, Buche, Zeder, Kirsche, Erle. Und Licht, das durch übergroße Fenster hereinflutet.

Hier möchte man gerne eingeschneit werden

Auch mein Zimmer schwelgt in Holz. Es heißt „Feldberg“ und inszeniert den höchsten deutschen Gipfel zwischen Ostsee und Alpensaum mit einem Flügelfenster, das fast die gesamte Außenwand einnimmt. Die grauen, mit türkisfarbenen Kissen aufgepeppten Sessel sind wie zur Andacht auf ihn ausgerichtet. Also hole ich mir in der Bar etwas Käse und eine Flasche Spätburgunder und setze mich zur Andacht nieder. Der Rundrücken des Feldbergs liegt da wie ein schlafendes Tier. Doch ein Gewitter will es jetzt wecken. Erste Blitzadern platzen im lilafarbenen Dämmerhimmel, dann tanzt der Berg im Stroboskoplicht einer filmreifen Wetterschlacht.

Am nächsten Morgen wabern Dunstschleier über die Hügel. Ich bestaune sie im Sepiaton des Frühstücksraums, wo Gäste in kasperbunten Outdoorhemden sitzen, aber auch am späten Vormittag keine Anstalten machen aufzubrechen. Sie haben ja recht. Allein schon der pergamentdünn geschnittene Schwarzwälder Schinken ist imstande, einen ans Buffet zu fesseln. Ich wandere immerhin bis zu den Wetterbuchen am Schauinsland. Die Bäume strecken ihre Wurzeln nach Westen aus, von wo Stürme über den Schwarzwald hinwegfegen. Ihre Stämme und Zweige aber geben sich dem Wind geschlagen und wachsen unter bizarrem Gefuchtel gen Osten. Sie wirken wie die Karikaturen dicker Männer, die mit umgestülpten Regenschirmen gegen Orkanböen ankämpfen.

Für solche Wetterlagen scheint die alte Gaststube gemacht zu sein. Hier möchte man gerne eingeschneit werden: Die Decke ist kaum zwei Meter hoch, die Dielen knarren, die Lampen verdunkeln eher, als dass sie erhellen. An den tabakgebeizten Wänden hängen Porträts der letzten Besitzer. Sie gehören zu einer Dynastie, die hier mehr als 400 Jahre lang das Sagen hatte, bevor Martin Hegar und seine Frau Lucia übernahmen. Der Koch stammt aus der Gegend, trägt Vollbart und einen cool geschnittenen Drillich. „Weltoffen badisch“ wolle er kochen, sagt er am Abend zwischen zwei Gängen, die er selbst serviert. Und das gelingt ihm blendend. Von der Gurkenkaltschale mit Wasabi und Räucherlachstatar bis zur Maishuhnbrust mit Schwarzkümmelcreme befrage ich meine Geschmacksnerven bei jedem Gang, ob sie das so schon einmal gekostet haben. Die Antwort ist immer Nein.

Liegt es an der opulenten Vollpension, dass ich am nächsten Tag das Haus nicht verlassen will? Auch – gegen Die Halde ist jede Kreuzfahrt eine Fastenkur. Eher aber ist der Schwarzwald schuld. Seine sanften Berge lümmeln so träge in der Gegend herum, dass ich nicht dem Drang verfalle, sie besteigen zu müssen. Ich verfaulenze die Zeit lieber in der Sauna. Schaue auf das Bühnenbild aus melancholischen Nadelwäldern und moosgrünen Kuppen und beobachte die Flugkünste der Bussarde, die so elegant landen, als würden sie dafür bezahlt. Ich seufze im Frottee und spüre, wie ein tiefer Frieden in mich einsickert. Im eitlen Felsengeprahle der Alpen hätte der jetzt wahrscheinlich gar keine Chance.

Schaurig schön

Bollenhut und Kuckucksuhr? Der Schwarzwald kann auch anders. Wer das Atelier des Bildhauers Simon Stiegeler betritt, möchte Kindern gleich die Augen zuhalten: Von den Wänden stieren Teufels-, Hexen- und Narrenmasken von bedrohlicher Schönheit. Mehr als 6000 Narren laufen während der Fastnachtswoche im süddeutschen Raum mit solchen Stiegelermasken herum. Auch die übrige Kunst, die hier entsteht, ist geprägt vom mythendurchwirkten Schwarzwald – etwa die giacomettihaft dürren, ätherisch wirkenden Flügelwesen aus Lindenholz. Und Kuckucksuhren gibt es außerdem. Allerdings ohne Zeiger und Zifferblatt, als Zeichen gegen die Terminhetze.

Wandern

Ganz oben sein und dennoch aufschauen: Auf dem schönsten Aussichtsberg des Schwarzwalds geht das. Der vierstündige Rundweg auf den Belchen beginnt am Passübergang Wiedener Eck. Sobald man durch hexenhafte Fichtenwälder zu der 1414 Meter hohen Granitkuppe aufgestiegen ist, prangt im Süden der beschneite Alpenhauptkamm von der Zugspitze bis zu den Viertausendern des Berner Oberlandes. Manchmal ist sogar der Mont Blanc zu erkennen. Doch auch wer in andere Himmelsrichtungen blickt, ist lange nicht fertig mit Schauen. Das Rheintal, die Vogesen, der Pfälzerwald, die Schwäbische Alb – auf dem Logenplatz des Belchen überblickt man ein Gebiet, so groß wie ein Sechstel Deutschlands. Dass beim Abstieg sogar Gämsen über den Weg preschen – ihre Vorfahren wurden vor 80 Jahren hier ausgesetzt –, wundert dann kaum noch.

Kuhkuscheln

Sie kommt in freundlicher Absicht. Dieser Satz muss erst einmal in den Kopf, wenn Tammy auf einen zustapft: 800 Kilo Lebendgewicht, zum Schmusen wild entschlossen. Wenn sie sich aber auf die Wiese legt und man sich an ihren Bauch lehnt, der sich anfühlt wie eine Mischung aus Wärmflasche und Hüpfburgkissen, möchte man gar nicht mehr weg von ihr. Tammy ist immerhin Profi: eine von einem Dutzend kontaktfreudigen Kühen, die der Bauer Bernd Marterer als Einziger im Schwarzwald zum „Kuhkuscheln“ anbietet. Für 16 Euro pro Person kann man deren Stirnlöckchen kraulen und erleben, wie sie einen mit ihrer himbeerjoghurtrosa Schnauze auffordernd antippen, wenn man damit aufhört. Nach zwei Stunden fühlt man sich gelassen wie ein Yogi.