Auf Teufel komm raus - Textbüro Hanisch | Texter Köln | Autor und Journalist
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Auf Teufel komm raus

DIE ZEIT, Nr. 45/2011

Auf Teufel komm raus

 

Viel Alkohol, noch mehr Dezibel und stürmischer Seegang: Eine Heavy-Metal-Kreuzfahrt von Stockholm nach Turku ist nichts für Leichtmatrosen.

Das Schiff ist eine Manifestation des Frohsinns. Auf seinem sahneweißen Rumpf prangen drollige Tierfiguren unter einem knallblauen Pippi-Langstrumpf-Himmel. Wie ein riesiger Kinderhort zu Wasser liegt die Galaxy im Stockholmer Hafen und wartet auf ihre Gäste. Aber sind sie das wirklich? Das Passagiergetümmel am Pier ähnelt den Horden Dschingis Khans. Es wimmelt von wilden Mähnen und tätowierten Glatzen, von Brauenringen, Stachelnieten und T-Shirts mit aufgedruckter Fegefeuerfantasie: „Fuck you, I’m from Hell“ steht da, oder „Soldiers of the Apocalypse“. Die Typen schneiden fürchterliche Fratzen und fotografieren sich dabei. Ist doch lustig, denkt man zunächst. Aber dann fällt auf, dass kaum jemand lacht, wenn sich die Posen wieder lösen. Kein Augenzwinkern, kein ironischer Bruch. Und so keimt beim Einchecken ein Verdacht: Kann es sein, dass man tatsächlich zu einer Art Schlacht aufbricht? Zu einer Reise, die mehr sein soll als eine reine Vergnügungstour?

In den kommenden 23 Stunden wird die Galaxy unter der Flagge des Heavy Metal fahren. Das ist der böse Bruder des Hardrock und die einzige Musikkultur, die sich ihre Bürgerschreckattitüde bewahrt hat. Von Stockholm ins finnische Turku und zurück führt die Sweden Rock Cruise, die ein Festival-Veranstalter zweimal pro Jahr organisiert. An Bord eines gewöhnlichen Fährschiffs spielen jeweils sechs Bands von internationalem Rang. Die Tour ist ein Pflichttermin der Stockholmer Metalszene – neun von zehn der 2.000 Teilnehmer sind Schweden.

Als die Menge am frühen Abend an Bord strömt, summt die Luft vom Geräusch der Rollkoffer. Die Kabinen sind neun Quadratmeter groß und sehen aus wie geschrumpfte Pensionszimmer aus den achtziger Jahren. Doch die Metalmenschen scheinen sich wohl darin zu fühlen. Die Türen links und rechts der endlosen Gänge stehen offen, Lärm wie von Baumaschinen dröhnt aus CD-Rekordern. Man sitzt sich auf Bett und Couch gegenüber wie im Zugabteil und brüllt einander an. Frauen sind eher rar. Umso mehr trumpfen die wenigen auf – mit toupierten Haaren, Plateaustiefeln, Strapsen.

Verchromte Treppen führen von den Wohndecks hinunter auf zwei Ebenen mit Läden, Bars und Restaurants. Der Kindergarten wird gerade verriegelt, dafür ist der Supermarkt bereits rammelvoll. Er bietet Feierstimmung in Flaschen an. Weil das Schiff die finnische Insel Åland anfahre und die einen Sonderstatus der EU habe, könne die Reederei Alkohol steuerfrei verkaufen, erzählt ein Kassierer. Ideal für trinkfreudige Kreuzfahrt-Passagiere.

Und erst recht für Heavy-Metal-Fans. Noch während die Galaxy ablegt und hinter den Bullaugen die Hafenanlagen im grünen Laternenschein vorbeiziehen, glüht die Meute vor. Im gediegenen Pub kann man auch Männer in ihren grauen Jahren beim Grimassieren und Luftgitarrespielen beobachten. Zum Beispiel die Clique, die direkt vor dem DJ Platz genommen hat. Die Knie der Endfünfziger zittern das nähmaschinenhafte Geknüppel der Double Bass Drums mit. „Young Offenders! Know your Rights!“, warnt einer der Sprüche auf ihren T-Shirts. Doch die Herren bleiben friedlich und johlen nur gemeinsam auf, wenn der nächste Klassiker von Iron Maiden losdrischt. Das Werbeschild auf dem Tresen beachtet niemand. Eine Stockholmer Klinik preist darauf ihre Tinnitus-Therapien an.

Dann dröhnen Live-Riffs aus dem Starlight Palace herüber. Der Saal liegt gleich nebenan und wurde mit seinen bordeauxroten Polstermöbeln offensichtlich für Fünf-Uhr-Tees eingerichtet. Hier finden alle Konzerte statt. Als erste Band stehen Helix auf der Bühne. Doch die Stimmung ist noch ein wenig klamm. Vielleicht liegt es an der Musik, die bestenfalls Spuren von Metall enthält. Sie wirkt so brav wie der Sänger, der mit seinem Lederhut an Crocodile Dundee erinnert.

Die nächste Gruppe heißt Dark Funeral und spielt Black Metal. Das ist der Gruselzweig im Genrestammbaum des Heavy Metal. Leichenweiß geschminkt, betritt der Sänger im Kettenhemd die Bühne – und man glaubt, der Leibhaftige selbst sei an Bord. Seine gravitätischen Gesten, sein stechender Blick, seine ganze herrische Autorität machen fast vergessen, dass alles Maskerade ist. Als er und seine Spießgesellen beginnen, formen die Hände des Publikums den internationalen Metalgruß: die Zeige- und Kleinfinger gereckt, die anderen abgeknickt – eine Geste, die an Teufelshörner erinnern soll. Die Musik ist eine düstere Wand aus Krach. Erst nach und nach schälen sich Strukturen heraus wie beim Betrachten eines monochromen schwarzen Gemäldes. Die Stücke heißen King Antichrist, Diabolis Interium oder Vobiscum Satanas. Wie gut, dass der fauchende Gesang des Beelzebubs im Klanggewitter unverständlich bleibt.

Heavy-Metal-Fans sind gern gesehene Kunden

Nach drei weiteren Songs wollen die Ohren eine Pause. Die bekommen sie im Cigar Club. Dafür steht hier die Luft vor Qualm. Der 22-jährigen Madelene aus Dänemark ist das egal. Seit Stunden rückt sie hier jedem zweiten Mann auf die Pelle. Ob sie öfter auf Metal-Kreuzfahrt ist? „Auf jeder“, sagt sie und zündet sich die nächste Zigarette an. „Immer mit meinen Eltern.“ Madelene zeigt auf einen halstätowierten Lederkerl und eine Frau, die sich ständig die Brüste zurechtrückt. „Ich habe halt Rock-’n’-Roll-Eltern“, sagt sie mit schwerer Zunge.

Auch Thomas und Monique sind nicht zum ersten Mal dabei. Gut zwei Dutzend Heavy-Metal-Konzerte besucht das Paar aus Remscheid pro Jahr, darunter viele Open-Air-Festivals. „Das wird langsam mühsam“, sagt Thomas, der Mitte 30 ist und die Figur eines Hinkelsteins hat. Man komme schließlich in die Jahre. „Viel Dreck, wenige Toiletten, lange Wege, keine Duschen – dagegen ist das hier das Paradies.“ Monique kann gar nicht so viel nicken, wie sie zustimmen möchte.

Die Heavy-Metal-Fans seien seine liebsten Kunden, sagt im Gegenzug Jan Saarinen. Der Gebietsmanager der Reederei steht auf dem Sonnendeck. Inzwischen ist es stockdustere Mitternacht, ein salziger Wind wühlt in den Haaren. Breitbeinig wie Bassisten trotzen neben ihm ein paar Raucher der aufgekratzten Ostsee. Dutzende Themen-Fahrten biete seine Firma an, sagt Saarinen. Und fast alle hätten mit Musik zu tun – Samba, Schlager, Jazz, Swing, Glam-Rock. Und warum sind die Metaller so begehrt? „Weil sie nicht nur rund um die Uhr trinken, sondern das auch vertragen. Weil sie den größten Umsatz bringen und trotzdem wissen, wie man sich benimmt. Tolle Leute.“

Mit einem Mal leert sich das Sonnendeck. Die Metalgemeinde prozessiert zum Konzertsaal. Immerhin ist jetzt eine Legende an der Reihe: Die Band Exodus aus Kalifornien. Die Thrash-Metal-Riffs der Gitarren empfangen die Fans wie Hammerschläge. Bretthart, irre schnell und von mathematischer Präzision. Die Finger der fünf Musiker rasen wie ferngesteuert über die Griffbretter, ihre Mienen wirken hoch konzentriert. Sie arbeiten an dem, was Heavy Metal sein soll: eine Erkundungsfahrt an die Grenzen der Rockmusik, ein Ausloten dessen, was möglich ist an Geschwindigkeit, an Härte, an Wut. Jetzt begreift man, was man am Anfang nur ahnte. Dieser Musik und ihren Anhängern geht es um mehr als grimmige Gaudi. Es geht ihr um den kunstvollsten Ausdruck der Aggression, den Versuch, etwas Letztgültiges zu schaffen.

Das Publikum reagiert darauf mit brachialem Spaß – das Tanzen gleicht einem Gemetzel. Immer wieder teilt sich die Menge, um wie bei einer antiken Schlacht wild aufeinanderzuzurempeln. Und noch lange nachdem der letzte Donner verhallt ist, schlägt die Stimmung an Bord hohe Wellen. Die Fans sind so in Feierlaune, dass viele kaum mitbekommen, wie die Galaxy eine Stunde lang in Turku verschnauft und sich dann auf den Rückweg macht. Erst gegen fünf Uhr morgens ist der Geräuschpegel so weit gesunken, dass man schlafen kann. Mit Ohrstöpseln.

Am Vormittag sitzen zwei vertraute Gestalten in der Cafeteria und mampfen baked beans: Robb Reiner und Steve „Lips“ Kudlow. Während die meisten Musiker sich nur zu ihrem Auftritt sehen lassen, können die Gründungsmitglieder des kanadischen Trios Anvil gar nicht genug bekommen von der Nähe zu ihren Fans. Die beiden grinsen so tüdelig, als seien sie gerade aufgeweckt worden. Und so ähnlich ist es ja auch. Anvil waren in den achtziger Jahren auf dem Sprung zu einer Weltkarriere. Doch irgendwie klappte es nicht. Mit Brotjobs hielten sie ihre Familien über Wasser – bis vor drei Jahren ein Dokumentarfilm über sie in die Kinos kam. „Seitdem haben wir vor fast einer halben Million Leuten gespielt“, sagt Lips. „Stell dir das vor, Mann. 30 Jahre Arbeit. Und jedes davon macht sich jetzt bezahlt. Wir haben sogar mit AC/DC getourt!“ Der Frontman saugt brodelnd am Rest seines Milkshakes. Dann strahlt er wieder wie ein Kind, dem man gerade sein Lieblingsspielzeug zurückgegeben hat.

Das tut er allerdings auch beim Abschlusskonzert auf der Bühne – ein klarer Verstoß gegen das Ingrimmgebot der Metal-Etikette. Trotzdem feiert man Anvil wie lang verschollene Familienmitglieder.

Nach dem Konzert scheint draußen die Sonne und bringt den Stockholmer Schärengarten zum Leuchten. Flammende Herbstwälder und bonbonbunte Holzhäuser ziehen an der Reling vorüber wie ein Werbefilm fürs Leben. Schaut euch um, möchte man rufen. Es ist doch alles gut auf der Welt! Denkt an Anvil! Doch die Heavy-Metal-Schar würde es nicht hören. Während die Galaxy in den Hafen einläuft, dröhnen ihre Musikrekorder immer noch voller Zorn. Kurz darauf geht es von Bord. Dabei macht sich ein Gefühl der Läuterung breit, als habe man 23 Stunden lang gegen Dämonen gekämpft.

Im Terminal der Reederei warten schon die ersten Passagiere auf die nächste Reise. Es ist eine Salsa-Fahrt. Als zwei Männer in weißen Schlaghosen nach dem Wetter auf See fragen, kann es nur eine Antwort geben. Schwer ist die See. Fürchterlich schwer.