Darf’s ein bisschen Meer sein?
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Darf’s ein bisschen Meer sein?

DIE ZEIT, Nr. 39/2008

Darf’s ein bisschen Meer sein?

 

Rochen im Badezimmer und Haie im Pool: Das Atlantis, Dubais neuestes Superhotel, holt den Ozean an den Wüstenrand

Sind Sie bereit? Hier kommt der nächste Wow-Effekt!“ Die Dame mit dem Klemmbrett spricht im Trommelwirbelton und hebt eine Braue. Dann stößt sie die Tür zum Badezimmer auf. Man tritt ein und denkt: Gott, ja. Der übliche Hotelhokuspokus. Fettglänzender Marmor und in der Mitte ein Riesenzuber mit Goldarmaturen. Doch es reicht eine Drehung nach rechts – und es ist um einen geschehen. Wie vom Blitz getroffen, sinkt man auf den Wannenrand und erstarrt. Unmittelbar vor dem Oval tut sich eine garagentorgroße Glaswand auf und gibt den Blick frei auf eins der riesigsten Aquarien der Welt. Hypnotisiert stiert man auf elf Millionen Liter ozeanblaues Wasser und das darin schwebende Meeresgetier. Haie gleiten majestätisch vorbei, Mantarochen wabern über die Scheiben wie fliegende Ponchos. Barrakudas grinsen grimmig, Schwärme schießen als bunte Blitze umher, und Fischmonster mit den Ausmaßen von Kälbern glotzen aus suppentellerrunden Augen herein, als wollten sie fragen: Was machen Sie denn hier?

Es ist tatsächlich so, als schwömme man mitten unter ihnen. Das ist kein Bad mehr, das ist ein maritimes Nirwana. Für 5700 Euro pro Nacht kann man es bewohnen. Wer die übrig hat, wird für alle Wannenfreuden dieser Welt verloren sein und kein Bad mehr nehmen können, ohne melancholisch zu seufzen und sich zurückzusehnen an diesen Ort. Er befindet sich in der Neptun-Suite des neuesten Hotelcoups am Persischen Golf. Das Resort heißt Atlantis, The Palm und wird am 24. September vor der Küste Dubais eröffnen.

„Blow away the customer“, wir wollen den Kunden umhauen, so lautet das Credo des südafrikanischen Magnaten Sol Kerzner, dessen Hotelgruppe Kerzner International hinter Atlantis steht. Der klein gewachsene Sun-City-Schöpfer, den Mitarbeiter gern mit Napoleon vergleichen, liebt es ein paar Nummern größer. Über eine Milliarde Euro hat er investiert, um auch in den Vereinigten Arabischen Emiraten Kunden umhauen zu können.

Und tatsächlich kommt das erste „Wow!“ einem schon bei der Anreise über die Lippen. Wie ein Gebirge aus Erdbeereis erhebt sich der pinkfarbene Fünfsternepalast mit Türmen und Türmchen und 1539 Zimmern auf dem Scheitelpunkt einer Sandsichel. Sie legt sich schützend um die 17 Landzungen von Palm Jumeirah, der ersten von mehreren künstlich erschaffenen Inseln.

Die Ohrenquallen leuchten wie lebendige Lavalampen

Die Emiratis mussten sich nicht mit Entwürfen begnügen, als sie die Baugenehmigung für den neuen Feriengiganten erteilten. Es gibt ihn schon baugleich auf den Bahamas. Doch in die Kunstwelt der Palmeninsel passt er besser. Denn Dubai entwickelt sich wild entschlossen zum Las Vegas des Nahen Ostens. Wenige Kilometer landeinwärts von Jumeirah wächst gerade Dubailand aus der Wüste: ein Spaßkomplex auf der vierfachen Fläche Hamburgs, der Klone des Eiffelturms, der Pyramiden von Giseh, des schiefen Turms von Pisa und des Tadsch Mahals auf sich vereinen will. Und damit keiner an schlechte Kopien denkt, baut man sie größer als die Originale. Die Idee hätte von Kerzner sein können.

In den letzten Tagen vor seiner Eröffnung macht sich das Atlantis zum Gästeumhauen bereit. Hundertschaften von Mitarbeitern strömen über die Flure, als folgten sie einem verborgenen Plan. Auf den Bartresen stehen meterlange Reihen von Gläsern, an denen gelbe Zettel mit ihrer Bestimmung kleben – kein Calvados soll im Cognacschwenker landen. In einem der künftigen Konferenzsäle hocken Pakistaner an Nähmaschinen. Sie passen die 180 verschiedenen Uniformtypen an, mit denen die 4000 Angestellten eingekleidet werden sollen. Ringsum rauschen die Walkie-Talkies von Wachmännern, und klemmbrettbewehrte Hotelfeen füttern Journalisten mit Superlativen: 520 Köche, 100 Kindermädchen, Mitarbeiter aus 45 Nationen… Da kann einem schwindlig werden.

Soll es ja auch. Wie Kerzners frühere Projekte ist auch das Atlantis ein megalomanes Themenhotel. Und welches Thema läge in einem Wüstenstaat näher als Wasser? Die ganze Anlage ist ein Tempel, oder besser: eine Kathedrale zur Anbetung des Meeres. Es wimmelt von Wasserspielereien, wohin man blickt. Manche der Säulen fächern sich auf wie Palmenstämme, andere tragen Muschelreliefs. Lampen präsentieren sich als Seeanemonen, Türgriffe als Seepferdchen. Und in allen Gängen hängen quietschbunte Quallenbilder, als wären sie die Ausgeburten einer quälend langen Medusenphase Andy Warhols.

Das Herz des Hotels schlägt in der Tiefe. Es ist das erwähnte Riesenaquarium, die Ambassador Lagoon. Auf ihrem Grund liegen die stilisierten Ruinen der versunkenen Stadt Atlantis, durch die 65.000 Fische und Meerestiere wie Fabelwesen gleiten. Man kann sie aus vielen Perspektiven bestaunen. Aus den Suiten im Untergeschoss, aber auch aus einem Tunnelsystem namens Lost Chambers, das am Bassin entlangführt. Hier wird die Geschichte von Atlantis erzählt. Das heißt: zurechtfantasiert. Wer die Kammern betritt, kommt sich vor wie in einem Traum des „Alien“-Schöpfers HR Giger. Bizarre Rüstungen sind zu sehen, spinnerte Navigationsgeräte oder eine merkwürdige Aufzugattrappe aus Perlmutt, Bronze und Leder.

Bestürzend schön sind nur die zusätzlichen Aquarien. Zum Beispiel die der Moon Jellies: In dunklen Tanks schwimmen Dutzende von Ohrenquallen, die orange und lila leuchten und sich in erhabenen Konvulsionen durch die Wassernacht pumpen. Sie sehen aus wie lebende Lavalampen. Für einen solchen Anblick würde man Sol Kerzner am liebsten umarmen.

Aber Kerzner wäre nicht Kerzner und Dubai nicht Dubai, wenn sie sich damit begnügten, den Gästen die Natur nahezubringen. Die Schöpfung war ja erst der Anfang, scheint die Hoteleinrichtung zu sagen. In der Lobby steht ein knapp zehn Meter hohes Monstrum von einer Glasskulptur. 3000 mundgeblasene Schlangen strudeln babyblau in die Höhe, um dann an der Spitze in einem furiosen Gelborange zu explodieren. Das Ding wirkt kindisch und obszön zugleich. „Es symbolisiert die Essenz des Ozeans“, sagt die Klemmbrettdame und lässt einen noch ratloser zurück.

Beinahe wäre von dem Glasungeheuer nur ein Klumpen übrig geblieben. Am 2. September fing das Dach der Eingangshalle Feuer. Wer die pechschwarz umqualmte Hotelsilhouette sah, hätte denken können, ein zorniger Gott wolle die Menschen für ihre Hybris strafen. Es wäre dann aber nur ein Warnschuss gewesen. Bis zur Eröffnung wird die von den Flammen zerpflückte Kuppel repariert sein.

Der Schöpfer hat die Vereinigten Arabischen Emirate ohnehin auf eine harte Probe gestellt, indem er sie zu einer der heißesten Gegenden des Planeten machte. Die meiste Zeit des Jahres pendeln die Temperaturen zwischen 40 und 50 Grad und fallen auch nachts nicht unter 30. Das ist zu viel für einen lauschigen Abend am Pool. Kein Wunder also, dass man in Dubai eher gegen die Natur baut als mit ihr. Die Rechtfertigung dieser Kultur spürt man schnell am eigenen Leib. Beim ersten Schritt auf die Terrasse des Atlantis klatscht einem die Schwüle ins Gesicht wie ein nasses Handtuch. Dazu klappern die ausgedörrten Blätter der 1700 Hotelpalmen, als wollten sie sagen: Uns gehts ja auch nicht besser.

Zum Teil allerdings sind die Dubaier am widrigen Klima selber schuld. Rund um die Uhr rumoren zigtausend Baumaschinen, heizen die Luft weiter auf und husten Dreck in den Himmel. Darum sieht man hier die Abendsonne nicht im Golf verglühen: Sie verschwindet lange vorher hinter einem braunen Schleier. Was halb so schlimm ist. Denn sie geht ohnehin im Rücken der Gäste unter – das Hotel wendet sich den Wedeln von Palm Jumeirah im Innern der Sandsichel zu.

Die Bridge Suite ist schon gebucht – für 18.000 Euro pro Nacht

Der Strand des Atlantis liegt deswegen an einer Art künstlichem Binnengewässer. Wer darin badet, kommt sich vor wie in einer Baugrube. Auf den angrenzenden Inselstücken drehen sich Bagger täppisch im Sand, und die Stelzen einer noch nicht fertig gestellten Hochbahn staken quer durchs Wasser. Perfekt wird die Industrieromantik, wenn abends die Lichter der mehr als 80 Wolkenkratzer des neuen Stadtteils Dubai Marina vis à vis entflammen. So was sieht man nicht alle Tage. Wer unter Strandurlaub indes versteht, seinen Blick über die befreiende Leere des Meers schweifen zu lassen und der Welt den Rücken zu kehren, ist im Atlantis an der falschen Adresse. Hier schaut man ihr mitten ins zukunftstrunkene Gesicht.

Umso merkwürdiger kommt es einem vor, dass es in dem 34 Grad heißen Wasser vor Fischen beinahe brodelt. Sie springen in die Luft und flitschen einem beim Schwimmen sogar gegen die Beine. Adrian Tolliday kann das erklären. Der schlaksige Londoner ist Meeresbiologe und der Chef von 165 Mitarbeitern, die sich um die Tiere der Ambassador Lagoon kümmern. Er steht im Neonlicht des Fischhospitals, wo seine neuen Schützlinge nach langen Flügen gepäppelt werden, und tippt mit der Fußspitze auf den Boden. „Hier. Sechs Millionen Sattelschlepperladungen Sand und Gestein. Daraus besteht Palm Jumeirah. Können Sie sich vorstellen, was für ein spannendes Habitat das für Fische ist?“ Immer mehr Meerestiere würden davon in die früher fischarme Region gelockt, sagt er. Also boomt Dubai, das jedes Jahr um 100.000 Einwohner wächst, sogar unter Wasser? „Genau so ist es“, sagt Tolliday und macht ein triumphierendes Gesicht.

Die Fische scheinen sich in der Hitze wohlzufühlen. Aber gilt das auch für die Kunden, die das Atlantis vor allem ansprechen will: Familien aus Europa? Wo sollen die hin, wenn sie keine Lust mehr haben, die klimatisierte Hotelluft zu atmen? „Deswegen gibt es doch Aquaventure“, sagt Peter Doyle. Der Kanadier mit den chlorroten Augen leitet den größten Wasserpark des Nahen Ostens, der zum Resort gehört. Auf Luftkissen kann man hier über einen 2,3 Kilometer langen Flusslauf schippern, durch Wasser, das auf 26 Grad heruntergekühlt wurde. Laufbänder transportieren die Gäste über die Anstiege, bevor es wieder durch gischtspritzende Kurven und betulichere Abschnitte geht. Man fühlt sich wie eine Ente in einem Gebirgsbach. Herrlich.

Fragt sich nur, wie es hier zugehen wird, wenn die 250 Bademeister die Massen im Fluss zu halten versuchen – Aquaventure wird nämlich auch für Nichthotelgäste geöffnet. Dafür, dass die in großer Zahl kommen werden, sorgen fünf halsbrecherische Rutschen mit Namen wie The Fall, Leap of Faith oder Shark Attack. Letztere führt in einer Unterwasserglasröhre durch ein Becken mit Haifischen. Bislang hat man nur Winzlinge auftreiben können, die dünn sind wie Baguettes. Doch bald sollen sich hier 150 ausgewachsene Haie drängen und die Besucher das Fürchten lehren.

Nebenan in der Dolphin Bay darf man mit Delfinen schmusen. Die 28 Tümmler, die vor einem Jahr von den Salomon-Inseln eingeflogen wurden, geben Küsschen, machen Männchen und apportieren Ringe. Cathie, die sympathische Delfindame, kann das besonders gut. Sie fühlt sich an wie aus Gummi und lässt sich bereitwilliger liebkosen als mancher Dackel. Man muss schon ein hartes Herz haben, um Cathie nicht zu mögen. Aber wäre sie daheim in der Südsee nicht besser aufgehoben als in einem Pool, den sie mit nur wenigen Flossenschlägen durchrasen kann? Solche Fragen sind hier nicht vorgesehen. Stellt man sie dennoch, versteinert das Spiegelbrillengesicht des Oberdelfinmeisters. Vielleicht liegt es ja am schlechten Gewissen, dass Teile der Einnahmen von Aquaventure an die Kerzner Marine Foundation zum Erhalt maritimer Ökosysteme gehen.

Das Atlantis, The Palm, wird ein Erfolg; da lässt der Vorabbesuch keinen Zweifel. Und auch wenn manche Gäste sich so entrückt vorkommen mögen wie die Delfine, haben sie doch mehr Platz. Selbst die Bridge Suite ist schon gebucht. Das ist jener Komplex des Gebäudes, der sich mit imperialer Wucht auf 924 Quadratmetern zwischen den beiden Haupttürmen erstreckt. Man betritt die Suite über einen Privataufzug und begreift erst nach Minuten, dass man sich nicht mehr in einer öffentlichen Halle befindet. Es gibt eine Bibliothek, eine Media-Lounge und einen goldüberzogenen Esstisch für 16 Personen. Wenn die Bauarbeiten abgeschlossen sind, wird hier unter kinderzimmerbunt ausgemalten Kuppeln voller Seesternchen ein indischer Geschäftsmann residieren – für 18.000 Euro pro Nacht. Doch, dieses Hotel haut einen um. Aber man bleibt nicht lange liegen.