Das Berg-Werk
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Das Berg-Werk

DIE ZEIT, Nr. 29/2015

Das Berg-Werk

 

Reinhold Messner eröffnete am 23. Juli in Südtirol sein mittlerweile sechstes Mountain Museum. Uns hat er erklärt, warum das nötig war.

Er ist kleiner als gedacht. Sein Händedruck nicht so schraubzwingengleich wie befürchtet. Und sogar blinzeln muss er gegen die Sonne. Doch es dauert keine zwei Minuten, bis man daran erinnert wird, dass da ein Titan sitzt im Café an der Talstation des Kronplatzes, des Hausbergs von Bruneck in Südtirol.

Wie lange er denn brauche, um sein neues Museum auf dem Gipfel einzurichten? Das ja jetzt – zum Zeitpunkt des Gespräches ist es Anfang Juli – immer noch nicht fertig sei, die Eröffnung aber schon in knapp drei Wochen. „Ein normaler Mensch“, sagt Reinhold Messner, nippt am Cappuccino und streicht über seinen noch immer unzähmbaren Salz-und-Pfeffer-Schopf, „ein normaler Mensch brauchte dazu ein Jahr. Ich mache das in zehn Tagen.“

Es nützt nichts, dass der Großbergsteiger damit nur seine Erfahrung betonen will, die er mittlerweile auch als Direktor von einem halben Dutzend Museen besitzt – der Satz verströmt augenblicklich jenes elitäre Nietzsche-Aroma, das auf den Durchschnittsmenschen so irritierend wirkt.

Corones heißt das sechste und letzte der Messner Mountain Museen, die sich in Südtirol und der italienischen Provinz Belluno verteilen und dem Thema Berg widmen. Am 23. Juli hat es ihr Initiator auf der Spitze des Kronplatzes, italienisch Plan de Corones, im Pustertal eingeweiht. Damit soll ein Projekt zum Abschluss kommen, das Messner seinen „fünfzehnten Achttausender“ nennt und in dessen Sammlungen und Einbauten er so viele Millionen gesteckt hat, dass „meine Frau überzeugt war, es führt die Familie in den Ruin“. Auf dem Weg zur Baustellenbesichtigung geht Messner im wiegenden Schwippgang eines Vogels. Ob das an den fehlenden sieben Zehen liegt, die ihm 1970 am Nanga Parbat erfroren?

An der Kabinenbahn zeigt er auf das Gipfelplateau, den Knotenpunkt des größten Südtiroler Skigebiets. „Im Winter herrschen da oben Aggression, Geschwindigkeit und Lärm. Das ist genau das Gegenteil von dem, was ich will.“ Dennoch zögerte Messner nicht, als er das Angebot erhielt, gemeinsam mit der britischen Stararchitektin Zaha Hadid auf dem Gipfel ein weiteres seiner Museen zu entwickeln. Die Baukosten von knapp drei Millionen Euro übernimmt Skirama Kronplatz, der Verband des Skigebiets. Warum, liegt auf der Hand: Während in den Wintermonaten gut 20.000 Besucher pro Tag das Areal bewimmeln, ist es im Sommer fast verwaist. Mit dem Museum soll das nun anders werden.

Zu zweit in der Gondel wird man das Gefühl nicht los, schon lange mit Reinhold Messner bekannt zu sein. Diese zwischen zwei Tonlagen kippende Stimme; die blauen Augen, die so adlerkühn schauen können; oder dieser berühmte Dzi-Stein im offenen Hemdkragen, den seine Museumsshops nicht verkaufen, weil man den tibetischen Glücksbringer nur geschenkt bekommen darf. Irgendwann bleibt der Blick an seinen Füßen hängen. Messner trägt tatsächlich Segelschuhe. Dabei kann er noch nicht einmal schwimmen. Seine jüngste Tochter habe ihm darum zum Siebzigsten im letzten September Schwimmflügel geschenkt, erzählt er und grinst.

Oben angekommen, breitet sich auf knapp 2.300 Meter Höhe eine Ebene aus, auf der drei, vier Fußballfelder Platz fänden. Von Aggression, Geschwindigkeit und Lärm ist jetzt im Juli wenig zu spüren. Eher von der Trostlosigkeit, die entsteht, wenn man einen Skiberg auf Teufel komm raus sommertauglich machen will. Hüpfburgen stehen herum, Klettergerüste, Indianertipis und eine 18 Tonnen schwere „Friedensglocke“, die den Charme eines Kriegerdenkmals verströmt. Von fast allen Seiten laufen die Trassen von Skiliften in hässlich verspiegelte Gipfelstationen ein. Zusammen wirken sie wie ein Klassentreffen von Autobahnraststätten aus den achtziger Jahren. Rentner spazieren mit Gehhilfen, Mountainbiker im Schutzpanzer rollen über das Gras, als zögen Samurai in die Schlacht.

Der Blick wandert lange, bis man das Museum entdeckt. Nicht nur, weil es so weit am Rand liegt, als wolle es sich aus dieser Party des schlechten Geschmacks davonstehlen. Das Corones gräbt sich auch tief in die Erde. Der Balkon und zwei große, quadratische Fensteröffnungen schauen aus den Berghängen heraus, der Eingang lugt unter einer Kuppe hervor. Deren fahle Betoneinfassungen wirken, als bohrten sich gigantische Backenzähne durch grünes Zahnfleisch. Messner bleibt stehen und blickt zufrieden. So stelle er sich die Zukunft der Architektur in den Alpen vor, sagt er. „Das Sammelsurium auf dem Kronplatz ist der falsche Weg.“ Stattdessen: Entschleunigung, in die Stille des Bergs hineinbauen. „Mit dem Corones zeige ich, wie wir der Verbauung der Alpen Herr werden können. Ich sehe mich da als Tourismuspionier.“

Innen schlängeln sich Treppenläufe mit der Rasanz von Bobbahnen

Die meisten seiner Museen hat er in historischen Bauten eingerichtet, mit ein paar dezenten Erweiterungen. In Schloss Juval aus dem 13. Jahrhundert etwa, das ihm auch als Sommerresidenz dient. In Schloss Sigmundskron bei Bozen, wo sich sein Hauptmuseum Firmian befindet und wo die neu geschaffenen Gänge und Treppen aus edel rostendem Stahl so gut zum roten Mauerstein passen. Um die Konzession wurde damals heftig gezankt. Jahrelang lag Messner deshalb in Fehde mit einem Regionalblatt, das all seinen Gegnern ein Forum bot – sie fürchteten, er errichte in dem geschichtsträchtigen Gebäude ein „Messner-Mausoleum“. Oder in Schloss Bruneck zu Füßen des Kronplatzes. Sein Leerstand verursachte Kosten von 300.000 Euro pro Jahr, bis Messner es für sein Bergvölkermuseum Ripa zur Verfügung gestellt bekam. Das Museum Dolomites am Monte Rite war ein alter Weltkriegsbunker, nur das Ortles in Sulden baute er in Eigenregie, und auch das schon in den Berg hinein.

Innen schlängeln sich Treppenläufe mit der Rasanz von Bobbahnen

Alle Häuser kommen ohne Zuschüsse aus und sind laut Messner gemeint als Räume, „in denen sich Mensch und Berg begegnen“. Im Vordergrund stehen neben der Geschichte des Bergsteigens auch Fragen rund um den Schutz der Bergkulturen. Dazu widmet sich jedes Museum einem Schwerpunkt: Mythos Berg, Religion, vertikale Welt, Eis, Bergbevölkerung. Das hypermoderne Corones hat sich dem traditionellen Alpinismus verschrieben. Warum aber kündigt dann ein Werbeplakat das Thema Fels an? „Das hat sich eben geändert“, sagt Messner. „Meine Museen sind immer ein Prozess. Ohne Weiterentwicklung wären sie tot.“

Dass er das Corones schon vor der Eröffnung neu erfunden hat, passt zum Tatmenschen Messner, der jetzt einen Zollstock hervorzieht und den Eingang vermisst. Eine Leiter vom Mount Everest will er dort anbringen. Sie stehe für den Frevel der präparierten Routen im Himalaya. „Wenn die heutigen Everest-Besteiger meine Bedingungen von damals vorfänden, sie würden sterben vor Angst.“

Das Portal ist verspiegelt wie eine Skilehrer-Sonnenbrille und umringt von Kränen, Plastikplanen und Aushub. Über Planken tritt man ein – und wähnt sich in einer Raumstation aus dem Zeichenblock von M. C. Escher. Kittgrauer Beton rahmt eine schlauchartige Halle ein, die sich in kühnen Windungen nach unten stürzt. Drei Etagen tiefer endet sie an riesigen Panoramafenstern, aus denen es almgrün heraufleuchtet. Nichts ist gerade, alles rund. Treppenläufe schlängeln sich mit der Rasanz von Bobbahnen, reißen den Blick mit von einem offenen Ausstellungsraum zum nächsten. Im Gegensatz zu Messner scheint Zaha Hadid von Entschleunigung wenig zu halten. Nicht umsonst nennt man sie die „Königin der Kurven“.

Warum Messner die vielen Anfragen für weitere Museen ablehnt, ahnt man, als er die künftige Sammlung erklärt: Die Exponate wiederholen sich, der Themenkomplex scheint ausgereizt. Eine Kristallgrotte als Reverenz an die ersten Bergsteiger der Alpen, die zur Römerzeit im Gebirge Mineralien suchten, hat man am Vortag schon im Bozener Museum gesehen. Die Höhle mit der Statue des meditierenden Yogi Milarepa, des sagenhaften Urahns der Himalaya-Bezwinger aus Tibet, gibt es bereits in vier anderen Ausstellungen Messners.

Genauso wie die Nachlässe berühmter Alpinisten. Sie sollen ein Stück weiter in Vitrinen gezeigt werden, die bauchig sind wie Flugzeugkanzeln. Messner nennt die Exponate „Bergsteiger-Reliquien“. Viele davon wird er aus seiner Sammlung Alpine Curiosa herbeischaffen, dem Vorläufer seiner Museen in einer Bergsteigerhütte am Fuß des Ortlers. Er kramt Fotos hervor, die den Meißel des Alpinisten Emilio Comici zeigen, den Borsalino des legendären Bergführers Matthias Zurbriggen, den Kletterhammer von Paul Preuß. Der „Philosoph des Freikletterns“ führte ihn für Notfälle mit sich. Was aber hat es mit dem Gipfelstein vom heiligen Berg Kailash in Tibet auf sich, dessen Besteigung als Sakrileg gilt? Hinter Messners Vollbart schimmert nur ein Lächeln.

Auf Dauer jedoch ist Schweigen seine Sache nicht. Gleich spricht er weiter, jetzt über die Kunst, die er hier ausstellen will. Die Skulptur einer Lotusblüte etwa, die im Buddhismus den Weg von der Dunkelheit zum Licht symbolisiert und in der Logik des Bergsteigens für den Weg aus dem Tal zum Gipfel steht. Werke über das Klettern werden die Besucher zu sehen bekommen, vom Ölschinken aus dem 19. Jahrhundert bis zur Fotokunst der Gegenwart. Oder einen Zyklus aus zehn Berggemälden, auf denen der Gipfel immer knapp abgeschnitten ist. Die Reihe soll einen Satz des deutschen Alpinisten Reinhard Karl illustrieren: „Den wahren Gipfel erreichst du nie.“

Gleich denkt man dabei an Messners Leben, in dem er die Grenzen des Menschenmöglichen ständig neu vermessen hat. In dem er höher, weiter und radikaler gelaufen ist als andere, doch bis heute nirgendwo anzukommen scheint. Der Höhenmediziner Oswald Oelz stellte einmal fest, dass Messners Physis keineswegs außergewöhnlich sei. Der große Unterschied zu anderen liege vielmehr in seinem Willen, der ihn anfeuere wie ein „innerer Vulkan“. Und tatsächlich wirkt Reinhold Messner wie das klassische Beispiel eines Getriebenen. Allerdings wie einer, der nicht flieht, sondern unaufhörlich neuen Herausforderungen entgegentritt, die er sich selbst schafft.

Nahe kommt man dem Charakter Messners an den beiden großen Fenstern, auf die Hadids Bau zugeschnitten ist. Hier entfaltet die Architektur den Effekt einer Schanze, die den Blick hinauskatapultiert auf zwei genau berechnete Sichtachsen. Das linke Fenster zielt auf den Heiligkreuzkofel, dessen Mittelpfeiler Messners schwierigste Klettertour war – eine von mehr als 100 Erstbesteigungen. Das andere zeigt die Geislerspitzen, seine Heimatberge. Ihre Zacken sind so exzentrisch und wild, dass man meint, erkennen zu können, wie die Dolomiten einst entstanden sind: als Korallenriffe im Meer. Die Idee zu den beiden Fenstern stammt von Messner. Der Bergsteiger betont gern, dass die Museen nur am Rande mit ihm selbst zu tun hätten. Aber Messner wäre nicht Messner, strebte er nicht immer wieder ins Rampenlicht. Er erzählt jetzt vom Alpeneinschnitt des Villnößtals, in dem er groß geworden ist. Von der Enge, von den Spießbürgern, von seinem Drang nach Freiheit, die er als Erstes auf den Geislerspitzen suchte. Hat er sie denn dort erlangt?

Auf dem Gipfel findet man weder Freiheit noch Glück, sagt Messner

Nein, sagt er. Es gebe da oben weder Freiheit noch Glück zu finden, sondern nur die Erkenntnis, dass sich ein Gipfel an den nächsten reihe. So wie im Leben auch. „Das extreme Bergsteigen hat darum keinen Nutzen. Es ist allein die Herausforderung, das Bemühen um das Ziel und nicht das Ziel an sich, worauf es ankommt.“

Messner zeigt auf eine Stelle, an der gerade zwei Arbeiter Kabel aufrollen. Dort werde er einen vergoldeten Schuh ausstellen. „Der Goldene Schritt“ soll das Kunstwerk heißen. „Die Skulptur steht für die Umsetzung von Ideen, den einzigen Weg zu einem gelingenden Leben. Und damit meine ich nicht die Rückschau am Ende. Es gibt nur das gelingende Leben im Hier und Jetzt.“

Das mag so stimmen. Aber mal ehrlich: ein goldener Schuh? Muss das sein? Man zweifelt daran. Und wird dem bekennenden Kitschliebhaber Messner das Ding wohl nachsehen müssen.

Was jedoch hat gelingendes Leben mit dem Irrwitz der Wagnisse zu tun, die er immer wieder auf sich nahm? Warum die unermüdlichen Aufbrüche in die Todeszone des Himalaya, die Wüste, die Antarktis? „Um durch das Gefühl totalen Verlorenseins den Wert des Lebens als Möglichkeit umso stärker zu spüren“, sagt Messner. „Ich habe bei der Rückkehr immer begriffen, was für ein Glück es ist, wieder eine Chance zu haben für ein neues Projekt, eine neue Idee. Bergsteigen ist am Tod provoziertes Leben, heißt es bei Gottfried Benn. Genau so ist es.“

Solche Sätze mögen anderswo nach Erbauungsliteratur klingen. Nicht bei Reinhold Messner. Wer sein Leben in Todesgefahr den schlimmsten Prüfungen unterzieht und dann sein größtes Glück im Gedanken an die Wiederholung dieser Prüfungen findet, ist jeder Räucherstäbchen-Esoterik unverdächtig.

Und so wirkt es fast gespenstisch, wie sehr der Mann ist, was er sagt. Man merkt es im nie ausleiernden Gespräch mit ihm. Und man spürt es in seinen Museen, die alles andere sind als raunende Huldigungen der Berge. Für Messner ist die Schönheit der Natur kein Grund, in Schwärmerei zu verfallen. Er sieht sie eher als glücklichen Zufall.

Woher aber stammt seine Leidenschaft für Kunst? Messner versucht eine Erklärung auf der Aussichtsterrasse. Sie ragt über das steilste Stück des Kronplatzes und macht ihrer Funktion alle Ehre. Ötztaler Alpen, Zillertaler Alpen, Ortlergruppe, die Marmolata mit ihrem Schneehelm – die ganze Bergprominenz badet in der Sonne wie ein fotorealistisches Gemälde von Helmut Ditsch. „Eine Erstbegehung hat für mich viel mit Kunst zu tun“, sagt Messner. „Ein Kletterer, der unter einer Steilwand steht und in Gedanken eine Linie durch den Fels zieht, geht vor wie ein Maler an der Staffelei. Nur dass er sein Werk nicht mit dem Pinsel umsetzt, sondern mit Griffen und Tritten. Danach ist die Wand eine andere, er hat sie verwandelt. Man kann es zwar nicht erkennen, aber im Kopf des Kletterers ist sie zu einem Kunstwerk geworden.“

Nur einen Augenblick später wechselt Reinhold Messner in den Dialekt. Diskutiert eine Ewigkeit mit einem Elektriker über einen Bewegungsmelder, der ihm so nicht passt. Es ist, als habe sich ein Adler aus philosophischen Höhen in die Profanitäten des Alltags gestürzt.

Zurück an der Kabinenbahn, eine letzte Frage: Wenn ihm die Tat so wichtig und das Corones sein letztes Museum ist – was kommt dann? Filme über das Klettern, lautet die Antwort. „Die heutigen Produktionen sind doch völlig daneben. Fällt dem Kino wirklich nicht mehr zum Thema ein als ein Streifen wie Cliffhanger? Dann wird es höchste Zeit, dass jemand das ändert.“ Genaueres will er nicht verraten. Aber man kauft es ihm ab. Er hat schließlich auch Museen gebaut, ohne Architekt zu sein.

Reinhold Messner besteigt nun die Gondel und schaukelt zu Tal. Man schaut ihm hinterher und denkt an den berühmten Goethe-Satz aus Wilhelm Meisters Wanderjahren. Er steht auf einer Tafel im Museum Firmian: „Die Gebirge sind stumme Meister und machen schweigsame Schüler.“ Wahrscheinlich musste Messner selbst lächeln, als er ihn aussuchte.