Gestrandet in Duisburg
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Gestrandet in Duisburg

DIE ZEIT, Nr. 32/2016

Gestrandet in Duisburg

 

Da wollten Sie nie hin? Jetzt sind Sie nun mal da. Wolf Alexander Hanisch nimmt Sie zwei Stunden lang an der Hand. Sie entdecken: Heavy Metal

Duisburg? Ogottogottogott. Armutszuwanderung, Bandenkriminalität, Schwermetall im Boden – kein zweiter Ort ist so umraunt. Seit die Montanindustrie vor 40 Jahren auf den Hund kam, ringt die einst wichtigste Stahlmetropole Europas schwer mit sich. Andererseits: Wenn Sie hier nicht aus dem Zug steigen, verpassen Sie den letzten Rocker unter den deutschen Städten.

Zur Akklimatisierung beginnen Sie am besten mit der Schauseite: Der Innenhafen am nördlichen Rand der City war früher eine Brache aus Lagerhallen, jetzt ist er ein Musterbeispiel für den Strukturwandel. Vor den vier rostroten Klinkertürmen der Schwanentorbrücke schwenken Sie nach rechts und gehen den toten Rheinarm entlang. Jenseits des Wassers ragen Büropaläste von fast schwebender Klarheit auf. Dass dazwischen immer noch spinnenbeinige alte Lastkräne mit staubblinden Fenstern stehen, passt ins Bild: Im Gegensatz zum poppigen Kölner oder Düsseldorfer Hafen ist der Duisburger durchhaucht von einem düsteren Ernst. Der steckt auch in der glamourfreien Marina, im Schimanski-Look der Passanten und in den vielen ehemaligen Kornspeichern, die heute Museen, Firmen und Restaurants beherbergen. Am imposantesten von ihnen wirkt die Backsteinburg des Landesarchivs NRW: Mit ihrem zyklopischen Vierkantturm und den zugemauerten Fenstern sieht sie aus, als halte hier ein Hollywoodschurke Hof.

Nach den aufgepeppten Silos sind Sie nun bereit für Duisburgs Wurzeln. Nehmen Sie ein Taxi, und sagen Sie dem Fahrer, Sie wollen zum Alsumer Berg.

Eine Viertelstunde später steigen Sie vor der Kokerei Schwelgern aus. Bitten Sie den Fahrer zu warten, und folgen Sie dem Wanderweg auf die bewaldete Halde aus Weltkriegstrümmern. Von oben erblicken Sie dann ein Dämonenwerk aus Hochöfen, Löschtürmen, Koksbatterien und Schloten in drei Himmelsrichtungen. Sie sehen Feuer und Dampf, hören Signalhörner, Güterzuggekreisch und Maschinengetöse. Duisburg ist Stadt gewordener Heavy Metal. Und der wird immer noch auf gigantischen Bühnen gespielt: Allein das Stahlwerk von ThyssenKrupp zu Ihren Füßen ist fast fünfmal größer als Monaco.

Von den einst 30.000 Arbeitern des Werks sind nur noch 14.000 übrig. Die anderen wurden vor zwei Dekaden arbeitslos und waren größtenteils Türken. Was die anschließend mit ihrem gesparten Geld unternahmen, können Sie jetzt in Marxloh besichtigen. Das Viertel liegt gleich nebenan und wird von vielen Nationalitäten bewohnt, es gilt als Problemviertel. Aber keine Angst: Wenn Sie an der Weseler Straße aus dem Taxi steigen, ist alles friedlich. Und sehr türkisch: Viele ehemalige Industriearbeiter haben hier Brautmodengeschäfte eröffnet. Heute reihen sich mehr als 50 aneinander, weswegen die Straße auch als „romantischste Europas“ beworben wird. Die Kundschaft kommt sogar aus Berlin oder Belgien.

Beim Flanieren entdecken Sie: goldstrotzende Geschäfte, in denen grotesk große Roben stehen, als seien darin Derwische mitten im Kreiseltanz erstarrt. Herrenboutiquen, deren Kunden Thomas Gottschalk wie einen Hausmeister wirken lassen. Hochzeitsaccessoires vom Diadem bis zum exzessiv ziselierten Brautschuh, die jedem Märchenfilmer zu viel wären.

Kaufen Sie noch etwas Konfekt aus farbigem Sirup in einer der türkischen Konditoreien, bevor Sie mit der Straßenbahn 903 von der Haltestelle Pollmann zurück zum Hauptbahnhof fahren. Damit behalten Sie Duisburg bunter in Erinnerung, als es ist. Und das geht völlig in Ordnung so.

 

2 Stunden in Duisburg

Finkenkrug

Duisburg ist bodenständig – das zeigt sich auch an der Universität: Mehr als jeder Zweite, der dort seinen Bachelor macht, stammt nicht aus einer Akademikerfamilie. Und die beliebteste Studentenkneipe ist der unverhipsterte Finkenkrug mit 300 Biersorten. Sternbuschweg 71

Tiger and Turtle

Die 20 Meter hohe Skulptur im Angerpark sieht mit ihren spiralförmigen Pfaden aus wie eine Achterbahn – nur dass man darauf nicht fährt, sondern über Stufen hinaufläuft. Von oben hat man einen tollen Blick über Hochöfen und Hafenanlagen. Ehinger Str. 117