In drei Drinks durch Rotterdam
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In drei Drinks durch Rotterdam

DIE ZEIT, Nr. 6/2023

In drei Drinks durch Rotterdam

 

Barkeeper weisen den Weg durch die Nacht. Wolf Alexander Hanisch lässt sich von Wodka, Rum und Wachholderschnaps berauschen. Und von rasanten Fahrten mit dem Wassertaxi

Die Cowboys von Rotterdam reiten nicht. Sie steuern pfeilschnelle Wassertaxis spiegelbrillencool durch Europas größten Hafen. Wenn einer dieser Wiedergänger Steve McQueens nicht weiß, wo man einen ordentlichen Drink bekommt, wer dann? Am besten irgendwo direkt am Ufer, präzisiere ich noch meine Frage, da brüllt schon der Motor auf und wir brettern los zum Aloha. Am Maasboulevard, wo der Fluss so breit ist wie der Amazonas, steige ich aus und beginne bald zu grübeln. Hat der Wassercowboy an der Anlegestelle in die richtige Richtung gezeigt? Auf der Glaskuppel des pyramidenförmigen Baus steht nicht Aloha, sondern Tropicana mit fehlendem „i“. Das Ganze sieht aus wie die Ruine eines Spaßbads.

Drinnen merke ich: Genau das ist es. Auf so ein Wirrwarr von Kübelpalmen und Sitzgruppen zwischen M.C.-Escherhaft mäandernden Treppen, Grottenwänden und Mosaikfliesen kommt ja sonst keiner. Zu den Klos läuft man durch die Kurven der ehemaligen Wildwasserbahn, irgendwo lehnt ein Surfbrett an der Wand. Auf der Terrasse über der Maas bestaunen Gäste ein urbanes Kolossalgemälde aus Schiffen und Brücken und zukunftstrunkenen Wolkenkratzern im verglühenden Abendlicht. Sie sind auf jenen Flächen entstanden, die der Hafen zurückließ, als man ihn nach und nach Richtung Küste verlagerte.

Den Tresen bevölkern Menschen mit braven Cordkragenjacken. Chef-Bartenderin Julia hält mit ihren Tunnel-Ohrringen und filzstiftbunten Tatoos dagegen. Als ich fragend schaue, fällt ihre Entscheidung prompt. Sie macht mir einen Springbreak mit Jasmin-Kombucha, Essigen von Quitten und Rhabarber, Salbei und Fenchel. Ist das nicht zu gesund? Julia lächelt mephistophelisch und lässt den Wodka strömen. Und tatsächlich: In meinem Mund ist sofort Party. Der Drink schmeckt nach einem brausenden, vor Übermut funkelnden Maitag. Im Abgang dann ein Hauch von Hustensaft, als solle der Leichtsinn gleich kuriert werden. Das liegt an der Duftnessel-Infusion, die Julia aus dem Gebüsch mit den violetten Blütenständen herstellt, das hier an jeder Ecke wuchert. Im Aloha soll alles so lokal wie möglich sein, sagt sie, Limonen etwa ersetzt man durch selbst gemachte Essige aus hiesigen Gewächsen. Aber passt das zu einer vor Internationalität berstenden Hafenstadt? Vielleicht ja gerade. Vielleicht ist das ja der neue Futurismus. Dann sollte man aber mal über die Playlist nachdenken. Dylan, Queen, Prince – etwas öde für einen Freitagabend. Ich nenne meinen Musikgeschmack für die nächste Station, und sofort diskutiert die halbe Barmannschaft. Der langmähnige Australier macht das Rennen. Die Bar 3 soll es sein.

Der Weg ins westliche Ende des Zentrums führt vorbei an den berühmten goudagelben Kubushäusern, die wie ein Berg Käsewürfel gegenüber der hangargroßen Markthalle liegen, und viel prätentiöser, in sich selbst verliebter Architektur. Seit die deutsche Luftwaffe die Stadt 1940 zur Wüste bombte, regiert hier das resolut Moderne in seiner ganzen Disparatheit. Der übernervöse Nordseewind rennt die Straßen entlang und kickt Bierdosen herum wie ein Halbstarker. Rotterdam mag voller veränderungssüchtiger Energien stecken. Aber es wirft sich einem nicht in die Arme.

In der Bar 3 empfängt mich die Musik wie eine Machtdemonstration. Sie ist so laut, dass selbst die holländischen Hochleistungsstimmbänder gefordert sind. Gerade läuft der mahlende Beschwörungssound einer Doom Metal Band. Auch sie spielte schon in diesem Schlauch, der mit seinen brüchigen Betonwänden, den roten Ledergarnituren und dem Kickertisch wirkt wie eine Mischung aus Tiefgarage und Jugendzimmer. Hinterm Zapfaltar ramentert ein Duo mit kronkorkenfliegendem Eifer und verblüfft durch ein enzyklopädisches Wissen über all die unfassbar guten Bands, die es auflegt. Erste Verbrüderungen sind im Gange, der Boden klebt schon vom Bier, das hier die Hauptrolle spielt. Die schöne Ungewissheit beim Ausgehen, der Abend als Rutschpartie – dieser Lebensnerv jeder Bartour ist mit Händen zu greifen. Von Cocktails aber, das wird schnell klar, versteht man hier so viel wie Ozzy Osbourne vom Forellenquintett.

Immer wieder sticht der Geruch von Lakritzlikör in die Nase. Frauen in Lederminis tragen ihn tablettweise vom Tresen zu ihren Freundinnen. Ist das der Signature-Schnaps der Bar 3? Barmann Gijs schaut mich an, als hätte ich mir einen Song von Britney Spears gewünscht. Dann hält er mir eine andere Flasche hin wie die Bibel. Jenever Ketel 1 heißt der Drink, auf den er schwört. Das erste Glas geht aufs Haus, Gijs schenkt sich auch eins ein. Mild und doch mächtig lodert der berühmte Wachholderschnaps aus dem nahen Schiedam meine Speiseröhre hinab und strahlt sein getreidig-kräutriges Feuer bis in die Kapillaren. Lecker. Aber ich weiß: Wenn ich damit weitermache, hat mein Kopf bald Notbeleuchtung. Also wohin zum Finale? Gijs streicht sich über seine Seemanntatoos und verordnet mir Rum. Darauf sei The Rumah spezialisiert.

Die Bar liegt nicht weit entfernt in einer für Rotterdam fast grotesk putzigen Fußgängerzone voller Fassadenstuck. Als ich den kavernenhaften Raum betrete, werde ich sogar von Gästen begrüßt und beprostet. Das Rumah scheint fest entschlossen, eine Bastion gegen die Großstadtanonymität zu sein. Immerhin sei der Name das indonesische Wort für Zuhause, verrät mir einer der Tresentrinker mit vielzahnigem Jürgen-Klopp-Lächeln. Und Rum komme halt auch drin vor, sagt Daryl. Dem Mann mit indonesischen Wurzeln und ironiefrei getragenem Sonnenhut gehört der von Kiffer-Rap durchwummerte Laden. Die teils freigelegten Bruchsteinwände sehen so künstlich aus, als seien sie in einem Katalog bestellt worden. Daryl aber spricht von ihnen, als habe er hier beim Umbau vor zwei Jahren das Bernstein-Zimmer ausgebuddelt: „Die Mauern sind 150 Jahre alt. Irre, oder?“

Rum also. Ich wähle den Sabio von der Karte, den Daryl mit der Geduld eines Eremiten bastelt. Tequila und 54-prozentiger Aguardiente aus Mexiko schießen beim ersten Schluck eine alkoholische Breitseite ab, die mir die Brauen hebt. Was ist mit dem Tonic, dem Grapefruitpfeffer, dem Salbei? Laut Karte sollen sie dem Ganzen eine grasige Frische verleihen. Doch sie scheinen zu beeindruckt von der kantigen Wucht des Mexikaners aus Oaxaca samt seinem Agavenadlatus.

Ich überlege noch weitere Rums zu probieren. Am besten pur, ist ja jetzt eh egal. Meine Augen wandern über die bunte Skyline der Flaschen. Ihre Reihen stehen auf einem Regal aus vertikalen gusseisernen Streben, die über den obersten Brettern zu mehreren Spitzen zusammenlaufen und sich knapp unter der Decke schwungvoll dem Raum entgegenneigen. Das Ding erinnert mich an eine Welle kurz bevor sie an ihrem Scheitelpunkt zusammenbricht. Und ans Trinken. Auch das ist ja ein Surfen auf einer Woge. Bleibt man oben, zischt man durch das Reich der feinen Trunkenheit. Stürzt man ab, geht man im ordinären Besoffensein unter. Das Wissen um den immer möglichen Zusammenbruch dieser Welle macht einen Barbesuch erst reizvoll; die Kunst besteht allerdings darin, ihn zu vermeiden. Daryl, mach mir doch die Rechnung! Der Gischt spritzende Heimritt mit dem Wassertaxi wird rauschhaft genug.