Operation am offenen Rumpf
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Operation am offenen Rumpf

DIE ZEIT, Nr. 5/2009

Operation am offenen Rumpf

 

Im ausgeweideten Airbus auf dem Flughafen von Amsterdam

Amsterdams Flughafen ist ein fabelhafter Ort. Man kann dort eine Filiale des Rijksmuseum besuchen, in Kasinos zocken, sich massieren lassen oder in Cafés einkehren, die woanders als Szenebars durchgingen. Dass das Boarding für meinen Flug nach Vancouver zwei Stunden Verspätung hatte – geschenkt. Gehe ich halt noch Rasierwasser schnuppern, dachte ich mir. Sushi essen. Musikvideos gucken. Irgendwas.

Dann saß ich endlich in einem dieser himmelblauen Airbusse. Reihe 22, Sitz F. Und saß. Und saß. Und saß. Fünf Stunden lang saß ich – ohne dass sich die Maschine nur einen Millimeter bewegt hätte. Der Pilot meldete sich in der ganzen Zeit zweimal zu Wort. Er sagte, es gehe gleich los. Vielleicht gab es deswegen weder zu trinken noch zu essen. Die meist angelsächsischen Fluggäste schien das alles nicht zu stören. In einem deutschen Ferienflieger wäre Blut geflossen.

Wie trügerisch der Duft der weiten Welt ist, wurde vollends klar, als ein halbes Dutzend goudablonder Mechaniker durch die Maschine ramenterte und schreiend auf die Deckenverkleidung eindrosch. Ihre Overalls waren geradezu idealtypisch ölverschmiert und wirkten wie Requisiten aus einem Vorher-nachher-Waschmittelspot. Plötzlich fühlte ich mich nicht mehr in einer distinguierten Zwischenwelt, sondern wie auf einer Baustelle in Amsterdam-Duivendrecht. Nach und nach erbrach die Maschine ihre Eingeweide. Überall baumelte ein wildes Geschlinge von Kabeln, Drähten und Schläuchen über unseren Köpfen. Die Techniker wühlten darin herum wie Metzger in einer toten Kuh.

Der alte Bismarck fiel mir ein. Der hatte einmal gesagt, Gesetze seien wie Würste – bei beiden sei es besser, man wisse nicht, wie sie gemacht werden. Vielleicht gilt das ja auch für die Fliegerei. Irgendwann prügelten die Holländer die Abdeckung wieder in ihre Verankerung zurück. Sie verbog dabei und ließ handbreite Schlitze entstehen, aus denen das Gekröse des Airbus weiter hervorlugte. Als die Männer verschwunden waren, ruckte das Flugzeug an und schlich stumm in Richtung Startbahn. War der Kapitän eigentlich noch an Bord? Dann nahm die Maschine Anlauf und hob ab. Für einen kurzen Moment erkannte ich unter uns eine Zuschauerplattform. Darauf standen kleine Menschen und winkten. Es sah aus, als wollten sie uns warnen.