24 Feb Auf in unerforschte Meere!
Süddeutsche Zeitung, 2013
Auf in unerforschte Meere!
Menschen sind Gewohnheitstiere. Und Unternehmen auch. Zwar beschwören sie gern den Innovationsgeist. Doch wenn es ernst wird, fehlt oft der Mut alte Zöpfe abzuschneiden – obwohl unser komplettes Wirtschaftssystem darauf beruht. Die Young Professionals von heute haben beste Chancen, dies zu ändern
„Was interessiert Sie denn an unserem Unternehmen?“ Fragen wie diese hören Bewerber in Vorstellungsgesprächen seit Jahrzehnten. Und ebenso lange ähnelt sich die Strategie ihrer Antwort. Meistens referieren Jobsucher dann jene Vorzüge, die der Betrieb auf Webseiten über sich verlautbaren lässt. In Wahrheit aber braucht es mehr denn je den Blick nach vorn. „Mich interessiert weniger, was Ihr Unternehmen heute ist“, lässt er sich in Worte fassen. „Mich interessiert vor allem, was es in Zukunft sein kann.“
Wer so in Personalgesprächen auftrat, wurde bis vor kurzem kaum für voll genommen. Der Umsatz, der Gewinn, das Wachstum – es lief doch alles. Spätestens im sechsten Jahr der Krise aber wird immer klarer, dass genau dieses business as usual nicht mehr reicht. Dass die Situation nach mehr verlangt, als jenem Drehen an Stellschrauben, das nur zu minimalen Änderungen führt. Dass mehr kommen muss, als lediglich Misserfolge zu vermeiden, Krisen zu managen und Konflikte stillzulegen. Und es sind gerade Berufseinsteiger, die spüren, dass sich etwas ändern muss.
Tatsächlich existieren durchaus Alternativen zum rasenden Leerlauf. Doch sie bilden oft ein Paralleluniversum des bloß Denkbaren, dessen Ideen noch viel zu selten Wirklichkeit werden. Einerseits hat die Dynamik der Moderne die Chancen enorm erweitert. Andererseits aber haben gerade ihre Errungenschaften wie der Sozialstaat oder stabile Erwerbsbiographien eine Mentalität heranreifen lassen, die vor Risiken zurückschreckt. Das Problem: Die meisten Menschen wollen den Fortschritt, weil sie begreifen, dass Stillstand Untergang bedeutet; aber sie wollen ihn durch eine ständige Erhöhung der Sicherheiten. Nun mehren sich die Anzeichen, dass dieses Rad nicht mehr weitergedreht werden kann, dass wahre Veränderung nur zum Preis von mehr Wagnis zu haben ist.
Motor der Wirtschaft: Kreative Zerstörung
Wie sehr die Sehnsucht nach Stabilität dem Wesen unseres Wirtschaftssystems widerspricht, erkannte keiner besser als der Nationalökonom Joseph Schumpeter. Er ist der Vater der „Schöpferischen Zerstörung“, einer Theorie, die heute nicht nur von Neoliberalen gegen Reformstaus in Stellung gebracht wird. Sie bezeichnet einen Prozess, bei dem alte Güter, Produktionsverfahren und Arbeitsweisen permanent vernichtet und zwangsläufig durch neue ersetzt werden. Ihre Zerstörung geht demnach nicht auf Systemfehler zurück, sondern wohnt der Ökonomie grundsätzlich inne und treibt jede Entwicklung voran.
Was Schumpeter entdeckte, war Friedrich Nietzsche bereits vertraut. Für ihn wuchsen bürgerliche Sicherheit und zerstörerische Dynamik auf dem gleichen Baum der Moderne. Welche Konsequenz daraus zu ziehen sei, lag für den „Philosophen mit dem Hammer“ auf der Hand: mehr Risikobereitschaft. „Denn, glaubt es mir! – das Geheimnis, um die größte Fruchtbarkeit und den größten Genuss vom Dasein einzuernten, heißt gefährlich leben! Baut eure Städte an den Vesuv! Schickt eure Schiffe in unerforschte Meere!“ rief er 1882 den Lesern seiner „Fröhlichen Wissenschaft“ zu.
Nietzsches Appell findet heute bei immer mehr jungen Menschen Gehör. Und das ist bitter nötig in einem Land, das einem demografischen Erdrutsch sondergleichen entgegensieht: Wenn in rund 15 Jahren die Letzten der Babyboomer-Generation in den Ruhestand gehen, ist das nicht nur für das deutsche Rentensystem problematisch. Es betrifft auch die Innovationsfähigkeit einer Gesellschaft, die dramatisch altert und eingeschliffenen Erfahrungsmustern ungleich stärker verhaftet sein wird.
Nichtsdestotrotz nimmt eine wachsende Zahl kreativer Unternehmer den Kampf auf. Ganz im Sinne Schumpeters zerstören sie Altes, indem sie Neues erschaffen und helfen so dem Kapitalismus dabei, sich immer wieder neu zu erfinden. Moderne Kommunikationstechnologien geben dafür meist den Ausschlag. Etwa für die Erfolge von Onlinedruckern, die ihren Markt heftig durcheinandergewirbelt haben. Oder für Startups wie MyTaxi, die mit ihren Taxi-Bestell-Apps dabei sind, die Macht der Taxizentralen endgültig zu brechen.
Mehr Aufbruch wagen
Die eklatant gestiegene Bedeutung von Technik spielt auch Young Professionals in die Hände, die sich bei etablierten Konzernen bewerben. Während nämlich technische Innovationen sich früher fast ausschließlich im Business ereigneten, kommen die Trends heute aus dem Konsumentenumfeld. Facebook ist das prominenteste Beispiel für diesen Kulturwandel. Und der hat mehr Gewicht, als es auf den ersten Blick scheint. Denn was dort passiert, können sich Manager nicht einfach per Powerpoint-Präsentation erklären lassen. Vielmehr werden die Möglichkeiten sozialer Medien nur begreiflich, wenn man sie selbst regelmäßig nutzt. Für Berufseinsteiger auf der Höhe ihrer Zeit sind solche Umwälzungen ein großer Vorteil.
Ohnehin hat es die Generation Y selbst in der Hand, den Wandel zu einer freien Innovationskultur zu forcieren. Sie ist mit dem Internet groß geworden und denkt in Netzwerken. Bei ihrer Suche nach Lösungen setzt sie deswegen auf die Community und nicht auf Autoritäten und Hierarchien, in denen ihr ein Aufstieg zudem nicht attraktiv erscheint. Wie Studien zeigen, ist Verantwortung für die Ypsiloner zwar interessant – doch gilt dies in erster Linie dann, wenn es dabei um Inhalte geht, und nicht um Karrieren im traditionellen Sinn. Dass die zur Selbständigkeit erzogenen Young Professionals von heute zudem so selbstbewusst sind wie kaum eine Generation vor ihnen, macht sie zu faszinierenden Agenten des Kulturwandels. All jene Innovationshemmer wie Herrschaftswissen und betriebliche Präsenzkultur, Sicherheitsdenken und Machtversessenheit können nur weichen, wenn sie von Menschen abgelehnt werden, die wissen, dass es auf sie ankommt in Zeiten von Fachkräftemangel und demografischem Umschwung.
Unternehmen werden von der Generation Y lernen. Ihnen bleibt gar keine andere Wahl. Sie werden sich üben in einem mutigeren Denken, das sich stets in der Bewegung vollzieht und so zu immer neuen Blickwinkeln auf vermeintlich altbekannte Dinge zwingt. Der Gedanke an Menschen, die zu reisen verstehen, liegt nah. Auch sie bemühen sich um offene Horizonte und machen so unterwegs verblüffende Erfahrungen. Allerdings: Für Unternehmen und ihre Mitarbeiter geht es momentan weniger um den genauen Verlauf ihrer Reise, sondern vielmehr um das Bewusstsein, überhaupt auf einer Reise zu sein. Sie können sich an Alexander von Humboldt ein Beispiel nehmen: Alle Entdeckungen des Naturforschers waren von dieser Attitüde geprägt. Der Zeitgenosse Goethes war nie ein Mann des Ankommens, sondern immer des Aufbruchs. „Voller Unruhe und Erregung freue ich mich nie über das Erreichte, und ich bin nur glücklich, wenn ich etwas Neues unternehme, und zwar drei Sachen mit einem Mal“, schreibt er in einem kurzen Prosastück. Mag sein, dass Humboldt damit heute ein sicherer Kandidat für einen Burnout gewesen wäre. Doch das ist ein anderes Thema.