24 Feb Go upstate, young man!
Reisen exclusiv, 2022
Go upstate, young man!
Unterwegs im Hinterland New Yorks, das wie eine gigantische Projektion seiner Provinzsehnsüchte wirkt.
Gibt es eine Stadt, die man so bildersatt besucht wie New York City? So touristisch präpariert, so wiedererkennungslustig? Auch auf dieser Reise ins Rom der westlichen Hemisphäre war es, als beträte ich mein eigenes Gedächtnis. Die aluminiumschlanke Wolkenkratzerwelt rund um den Central Park, das wie abstrakter Efeu über Brownstone-Fassaden rankende Eisengestrüpp der Feuerleitern, die legolandbunten Videowände und Markisen, Taxis und Hydranten – alles war da. Eine Sache allerdings erschien mir neu: Ausgerechnet die Königin von Urbanien träumt heimlich vom Land.
Meine Theorie bestätigte sich überall. Ich aß an rustikal karierten Restauranttischdecken unter Lüstern aus Hirschgeweihen. Ich sah hingebungsvoll umsorgte Blumenbeete im Betondickicht von Midtown. Ich durchschritt die Front von Macy’s am Herald Square, die sich in eine vertikale Blumenwiese verwandelt hatte. Und ich passierte den Türsteher des Terra Blues Club im Greenwich Village, der seinen Spiel-mir-das-Lied-vom-Tod-Staubmantel mit Cowboystiefeln inklusive Sporen kombinierte.
Als ich dann am Times Square, dem zuckenden Glasherz der Stadt, eine chlorophyllgrün strahlende LED-Wand mit der Empfehlung „A walk in nature walks the soul back home“ entdeckte, war das Bedürfnis nicht mehr zu ignorieren: Ich musste nachsehen, wo die Wurzeln dieser Provinzsehnsucht liegen könnten. In welchen Gefilden ich zu graben hätte, schien offensichtlich. New York ist schließlich nicht nur New York City. Es gibt auch Upstate New York, den Bundesstaat mit einer Hauptstadt, die noch nicht einmal auf 100.000 Einwohner kommt.
Anderntags betrete ich frühmorgens die Aluschlange eines Amtrak-Zuges in der Penn Station. 140 Kilometer geht es nun nach Norden auf einer Gleisstrecke, die sich schon seit 1850 das Ostufer des Hudson entlangwindet. Mein Ziel heißt Poughkeepsie, eine Kleinstadt in der Mitte des Hudson River Valley. Warum dorthin? Na, ich meine: Poughkeepsie. Das klingt doch schon nach größtmöglichem Seelengebaumel.
Nach und nach löst sich die Stadt auf, irgendwann erscheint die George Washington Bridge wie ein letzter Gruß der Rastlosigkeit. Ihre horizontblau schimmernden, rapunzelschön geflochtenen Stahlpfeiler tragen 14 Spuren für jährlich 100 Millionen Fahrzeuge – keine andere Brücke auf dem Globus ist so busy.
Der Zug dagegen lässt sich Zeit. Er trödelt auch dann noch mit nostalgischem dadamm, dadamm, als die Klinkerfronten von Yonkers hinter uns liegen und sich der Blick weitet – Geschwindigkeit steht Amerika nur seinen Flugzeugen zu. Ich schaue aus dem Fenster und sehe einen Mittelrhein im Konjunktiv. Wie oft behauptet, könnte der Hudson River tatsächlich „America’s Rhine“ sein, wäre er nicht so breit. So braungrausilber. So industrieumkränzt und so taff mit seinen steil getreppten Abbrüchen an der Westseite, die etwas Kiesgrubenhaftes haben, sich aber in meinem Kopf in Canyons verwandeln. Sicher werden gleich Indianersilhouetten auftauchen – wir sind hier ja im Irokesenland. Stattdessen erhebt sich plötzlich ein Ensemble anthrazitgrauer Trutzburgen am Westufer. Kühl und abweisend sehen sie aus, gerade so, als halte hier ein Hollywoodschurke Hof. Aber es ist die Militärakademie Westpoint, wie mir ein Blick aufs Handy verrät.
Höhe Cornwall ist das nächste Schauspiel dran. Dort überragt eine riesige Ruine mit Säulen, Zinnen, Bögen und Türmen eine Flussinsel so gruselig im bleichen Licht, dass ich an die Albumcover norwegischer Black-Metal-Bands denke. Es handelt sich um Bannerman’s Castle, das kein Schloss war, sondern 1901 als Munitionslager auf Pollepel Island errichtet wurde. In den 1920er Jahren machten mehrere Explosionen das Anwesen zu einem Lost Place von schier gespenstischer Perfektion.
Zwei Stunden nach New York City kündigt sich Poughkeepsie mit seiner größten Attraktion an. Es ist eine Eisenbahnbrücke aus dem 19. Jahrhundert, die zweieinhalb Kilometer lang auf spillerigen Beinen über den Hudson stakst. Man könnte meinen, sie sei aus Hähnchenknochen zusammengeleimt und dann mit Edelrost überzogen worden. Max Beckmann hätte sie begeistert gemalt. Nachdem das Bauwerk durch einen Brand seine Bestimmung verlor, machte man es 2009 zu einer reinen Fußgängerbrücke.
Das Ding sehen und hinaufwollen sind eins. Gleich neben Bahnhof führt ein Glasaufzug nach oben. Dabei wäre ein Aufstieg jede Schweißperle wert. Oben angekommen versteht man unmittelbar, was eine schöne Aussicht definiert. Sie ist immer dann schön, wenn der Betrachter vor ihr klein wird. Und so ist das hier. Der Strom teilt grüne Waldwogen bis an jeden Horizont. Man merkt: Das sind keine europäischen Dimensionen, wo die Landschaften wechseln wie die Säle in einem Museum. Hier hat man es mit Land, Land, Land zu tun.
Auch die Breite des Hudson wird erst hier oben begreiflich. Er wirkt eher wie ein Fjord. Und das ist gar nicht so falsch. Der flache Fluss ist mal in der einen, mal in der anderen Richtung unterwegs: Der Tidenhub des Atlantiks schiebt das Brackwasser mitunter 200 Kilometer weit ins Landesinnere. Henry Hudson segelte hier 1609 im Auftrag der niederländischen Ostindien-Kompanie als erster Europäer gen Norden, um eine Nordwest-Passage nach Asien zu finden. Das klappte nicht. Dafür kamen deutsche und holländische Siedler, die Orte mit Namen wie Rhinecliff oder Rhinebeck gründeten.
In der Main Street von Poughkeepsie werde ich dann das Gefühl nicht los, durch einen dieser melancholischen Bruce-Springsteen-Songs zu laufen. Der Wind spielt mit Plastiktüten und kickt in Halbstarkenmanier Dosen durch die Gegend. Eckensteher ringen lauthals mit ihren inneren Dämonen, Hispanics gehen undurchsichtigen Geschäften nach. Doch immer mehr Häuser haben ihre hochgiebeligen Angeberfassaden hergerichtet im Auf und Ab der unregelmäßigen Traufhöhen. Sie konkurrieren mit kunstvollen Murals, deren Farbe nicht lange trocken sein kann. Sogar ein manufaktumähnlicher Läden taucht auf, wo Red Wing-Boots und edles Rasierzeug im Schaufenster liegen.
Josh hat dafür keine Verwendung – sein Prophetenbart ist Hipstertum alter Schule. Er sitzt im Café der Underwear Factory, einem sinistren Fabrikgebäude aus dem Jahr 1874, das vor fünf Jahren zu einem Kulturzentrum umgebaut wurde. Unverputzte Wände, Industriestühle, viel Holz mit dem Schimmer abgelutschter Karamellbonbons. Der bis an die Ohren tätowierte Bildhauer aus Brooklyn hat sich hier ein Apartment plus Atelier gemietet. „5000 Dollar kosten drei Zimmer in New York City, kompletter Wahnsinn. Immer mehr Künstler fliehen vor solchen Wucherpreisen ins Valley“, sagt er. Aber ist das gut, wenn die New York Times die Städte entlang des Hudson schon „Hipsturbia“ tauft und andere von „Rurbanism“ schreiben? Na klar, meint Josh. „Früher konntest du dich hier nachts kaum auf die Straße trauen. Heute bekommst du in Poughkeepsie sogar Detox-Smoothies.“
Statt einen Selleriesaft zu ordern, hole ich mir lieber meinen Mietwagen ab und fahre auf pockennarbigen Straßen durch die alte Ostküstenherrlichkeit hinter der Stadt. Spitze, schlanke Kirchtürme stechen zuckergussweiß in einen metallicblauen Himmel. Hin und wieder blitzt eins dieser silbrig behelmten Silos auf. Amerikanische Flaggen wallen in getrimmten Vorgärten und vor diesen ikonisch verwahrlosten Farmen mit ihren Krausen aus weiträumig verteiltem Ramsch. Und immer wieder geben sich Prachtbauten in den sanft ausschwingenden Wiesen und Wäldern die Ehre.
Da ist zum Beispiel das Culinary Institute of America, eine berühmte Kochschule, der man das auch ansehen soll: Der backsteinrote Kasten ist von einer fast frivolen Vornehmheit. Ein Stück weiter thront das säulenbewehrte Vanderbilt Mansion im Beaux-Arts-Stil wie eine gigantische Torte aus Stein. Ganz anders präsentiert sich die Franklin D. Roosevelt Library, die erste aller US-Präsidentenbibliotheken. Der Präsident stammte von hier und liebte den schlichten niederländischen Kolonialstil aus grauem Feldstein, dem etwas Soldatisches anhaftet. Im Museum sind unter anderem die schauerlichen Foltergeräte ausgestellt, mit denen man der Polioerkrankung Roosevelts seinerzeit Herr zu werden suchte. Das Anwesen in Hyde Park wirkt deswegen auch wie eine Weihestätte des amerikanischen spirit of never giving up.
Am Abend wechsele ich auf die andere Flussseite und fahre ins Buttermilk Falls Inn. Das Hauptgebäude des Resorts steht inmitten eines riesigen, von Seen durchglitzerten Parks und ist ein Bergfried amerikanischer Nippesversessenheit. Wie, um der Weite des Landes etwas entgegenzusetzen, wimmelt es hier von Figürchen, Schiffsmodellen, kurios geformten Wurzeln, großmütterlichen Ohrensesseln und alten Lederausgaben des Naturanbeters Henry David Thoreau. In meinem Zimmer werfe ich mich aufs Bett, stutze kurz, und ziehe mir dann pflichtschuldig die Schuhe aus. Ich habe nämlich das Gefühl, gleich käme Tante Polly zur sahneweiß lackierten Tür herein, um nachzusehen, ob ich keinen Unsinn mache. Vielleicht, weil ihr Erfinder Mark Twain nicht weit von hier begraben liegt.
Am nächsten Morgen steuere ich das Storm King Art Center an, einen der größten Skulpturenparks des Planeten, wo sich New York Citys Kunstspleen und amerikanische Maßlosigkeit zu großem Landschaftskino zusammentun. Auf 200 Hektar verteilen sich mehr als 100 Installationen. Weil sie so fernglasweit auseinander liegen, leihe ich mir ein Fahrrad. Die Kette schnurrt, und ich habe das Gefühl, die Objekte von Alexander Liberman, Richard Serra oder Andy Goldsworthy könnten nur in diesem von Hügeln, Wäldern und Wiesen rhythmisierten Raum zu Hause sein. Als sich einmal am Himmel zwei Vogelschwärme vereinen, steht auch das unter Kunstverdacht.
Vor jeder Skulptur verweile ich verblüffter. Zum Beispiel vor den tonnenschweren Stahlblöcken von Menashe Kadishman. Das hausgroße Werk heißt Suspended und balanciert so primadonnenhaft auf einer Kante in der Luft, als sei die Schwerkraft nur eine Verschwörungserzählung. Oder der bronzene Springbrunnen North South East West von Lynda Benglis in einem nichts als mystisch wirkenden Hain: Kreaturen wie aus triefender Lava kriechen bedrohlich aufeinander zu, und ich kann kaum glauben, dass sie sich nicht tatsächlich bewegen.
Das Hudson River Valley ist so sehr das Hinterland von New York City wie der Chiemsee das von München. Also komm schon, Big Apple, da muss mehr gehen. Upstate New York erstreckt sich immerhin bis zu den Niagarafällen an der kanadischen Grenze. So weit allerdings will ich es nicht treiben. Aber die Finger Lakes, von denen hier jeder schwärmt, während zu Hause kein Mensch weiß, was das sein soll – die müssen noch drin sein.
Allein: Es wirkt, als wolle man mich von ihnen fernhalten. In Newburgh beiße ich vor lauter Wegweiserkryptologie fast ins Lenkrad meines navilosen Autos. Mein Behagen ist umso größer, als ich dann endlich durch den Südwestrand der Catskill Mountains gleite und meine, das irisierende Grün dieses endlosen Laubmeeres regelrecht zu trinken.
Einmal fahre ich ab zum Tanken in eins dieser Städtchen mit ihren ochsenblutroten und kreideblauen Holzhäusern, und sofort ist es 1952. Ich bin überzeugt, gleich auf James Dean zu treffen, der auf einer der Veranden lungert und gelangweilt an einer Gerte herumschnitzt. Aber da sitzt keiner. Die Orte sind feiertäglich leer auch ohne Feiertag. Es ist diese typisch amerikanische Absence. Im Shop der Tankstelle decke ich mich mit Erdnuss-Cookies ein, die jeden Kardiologen verzweifeln ließen, und frage, warum es sich niemand auf den Vorbauten gemütlich macht. Die Verkäuferin lacht. „Weil das hier niemand so richtig gewöhnt ist. Lange Winter, kurze Sommer – wir kommen irgendwie nicht mehr drauf, wozu die Dinger da sind.“ Ich habe einen anderen Verdacht. Wer auf der Veranda sitzt, gibt zu verstehen, dass er nichts zu tun hat. Ein Eindruck, den man vermeiden will in dieser puritanischen Welt aus Fleiß und Anstand.
Stunden später stürzt sich die Straße in die Tiefe, und der erste der Finger Lakes blaut intarsiengleich herauf. Würde man jetzt eine Drohne aufsteigen lassen, sie zeigte insgesamt elf schmale, bis zu 64 Kilometer lange Moränenseen, die Überbleibsel der letzten Eiszeit sind. Die fünf größten in der Mitte erinnerten die Indianer an den Abdruck einer göttlichen Hand. Die Seen heißen Canandaigua, Cayuga, Keuka, Seneca oder Owasco und lassen daran denken, dass die Indianer in den USA fast nur noch in Form schöner Gewässernamen anwesend sind.
An der Südspitze des Cayuga Lake liegt Ithaka. Wenn nicht nur Menschen, sondern auch Orte Charisma haben können, dann ist die Stadt ein Outdoorfreak im Designer-Holzfällerhemd. Dazu kann man hier glatt den europäischsten aller Fehler begehen: das Zentrum zu suchen. Während das Herz fast jeder US-Stadt an ihren Rändern schlägt, gibt es in Downtown Ithaka sogar eine Fußgängerzone mit kleinen Geschäften, Cafés und richtigen Flaneuren. Obendrein hat die Unistadt pro Kopf mehr Restaurants als New York City.
Kronleuchter aus giftgrünem Glas, toskanisch anmutende Rundbögen, Menschen, die absurd große Rotweingläser in den Händen drehen – das Coltivare könnte auch in New Yorks Williamsburg stehen. Das Lokal hat sich dem „Farm to table“-Konzept verschrieben, ohne das in Ithaka kaum noch ein Hot Dog zu verkaufen ist. Und anders als in der großen Stadt wäre hier leicht nachzuprüfen, wie genau man es mit der Nachhaltigkeit nimmt – die Biobauern arbeiten gleich um die Ecke. Die obligatorische Litanei all der Gluten-, Laktose-, Soya-, Hormon- oder Antibiotikafreiheit bei der Bestellung wirkt in Ithaka allerdings noch ermüdender als in Manhattan. Sei’s drum: Der Lachs aus dem Cayuga Lake mit einer Glasur aus Apfel- und Kirsch-Cider macht die kulinarische Wokeness auf Anhieb vergessen.
Zum Essen reist dennoch niemand einen halben Tag lang von New York hierher. Man kommt wegen der 150 Wasserfälle der Region. Am stolzesten sind die Taughannock Falls ein Stück seeaufwärts. Mit 85 Meter Höhe stellen sie sogar die Niagarafälle um acht Meter in den Schatten. Im rosagrüngelb funkelnden Sprühnebel wirken sie, als habe sich die Landschaft ein Amulett aus Wasser umgelegt. Majestätischer kann Erdgeschichte nicht auftreten. Aber so bewundert man die Taughannock Falls auch – mit andächtigem Abstand von einer Empore aus.
Ich will allerdings die Gischt im Gesicht spüren. Das geht am besten im Watkins Glen State Park einen See weiter. Nahe des Seneca Lake gähnt die Schlucht des Glen Creek so tief und steil, als sei sie mit einem zyklopischen Axthieb gepalten worden. Auf einem Rundweg passiere ich 19 Wasserfälle, von denen einer ausgedachter wirkt als der nächste. Das liegt an der tortengusshaften Schichtung der Felsen aus Schiefer, Kalk- und Sandstein, die über Aberjahrtausende ein Reich aus allen erdenklichen Stufen entstehen ließ. Es braust und tost, es zischt und rauscht, es gurgelt und donnert, und New York City ist auf einmal so weit weg wie noch nie auf dieser Reise.
Wasser ist das eine, Wein das andere, wofür die Finger Lakes stehen. Irgendwann erkenne ich das mit eigenen Augen: Ein feines, an die Strenge von Stahlstichen erinnerndes Muster aus Weinreben kämmt viele Hügel. Es sind vor allem die 130 Weingüter dieser Seenlandschaft, die den Staat New York zum drittgrößten Weinanbaugebiet der USA machen – nach Kalifornien und Washington State. Glaubt man einer Umfrage unter Weinexperten, sind die Finger Lakes die landesweit beste Weingegend. Ausschlaggebend dafür ist vor allem die Konzentration auf „Cool Climate Wines“ wie den Riesling.
„Das ist unser Franchise Player“, sagt Terence von den Lakewood Vineyards, einem Weingut, das so proper über dem Seneca Lake thront, als habe man es aus dem Katalog bestellt und gerade aus einer Zellophanhülle geknibbelt. Mit Franchise Player bezeichnet man im American Football den Star einer Mannschaft, der die meisten Einnahmen bringt. „Die Gletscherablagerungen haben hier spannende Terroirs geschaffen. Heiße Sommer mit kühlen Nächten in einer kurzen Anbausaison bringen eine schöne Säure. Und die bis zu 188 Meter tiefen Seen speichern die Wärme für ein lokales Mikroklima – das sind ideale Voraussetzungen für den Weinbau“, sagt der Sommelier und strahlt aus seinem Vollbart. Bei solchen Bedingungen leuchtet ein, dass gerade deutsche Winzer hier einst Pionierarbeit leisteten. Und die dauert an. Während man in Kalifornien die erdenschwere Eiche schmecken will, ist man hier versessen auf Frucht, baut in Stahlfässern aus und europäisiert so nach und nach das önologische Faible der Amerikaner.
Später lädt Terence zur Weinprobe auf die Terrasse. Wir entkorken verschiedene Gewächse und sind sicher: Die stahlgrüne Frische des Riesling-Jahrgangs 2020 ist kaum zu schlagen. „Awesome“, urteilt einer der Teilnehmer in breitem Texanisch. Na, soll er. Dieses Mal darf das amerikanischste aller Übertreibungsadjektive sein. Lange sitzen wir über dieser episch dahinfließenden Landschaft wie aus einer Kinderbibel – der Blick zu weit, die Wolken zu monumental, die Farben zu leuchtend. Und zu unseren Füßen liegt der See aus wimmelndem Silber. Wenn man wirklich aufhören soll, wenn es am Schönsten ist, dann ist jetzt der Moment dafür gekommen.
Am nächsten Morgen fahre ich zurück nach New York City und denke darüber nach, ob ich nun das angestammte Terrain seiner Landliebe gesehen habe. Wahrscheinlich schon. Nur anders, als ich dachte. Die Stadt träumt vom Land und das Land von der Stadt. Auf dem Rücksitz klimpert währenddessen eine Kiste der Lakewood Vineyards. Heißt es nicht, der Wein verhalte sich zur Traube wie die Kunst zur Natur? Wenn das so ist, können sich Stadt und Land gar nicht schöner treffen als in Form dieses Rieslings. Den hätte ich zwar auch am Broadway kaufen können. Aber von Terence schmeckt er anders. Gerade so, als sei er vom Dunst der Wasserfälle am Glen Creek gekühlt.