Ein Solarduscher im warmen Wasserbett
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Ein Solarduscher im warmen Wasserbett

Das Parlament, 2009

Ein Solarduscher im warmen Wasserbett

 

Niedrigenergiehäuser: Nicht nur für Sparfüchse, sondern auch für Genießer

Ertappt. Auf dem Weg nach Wuppertal gingen die Vorurteile mit einem durch wie nichts und machten aus Dirk Mobers eine Aussteigerkarikatur. Eine pedantisch verfummelte Bastlergestalt in Trekkingkluft, ein nuscheliger Sandalenfreund mit Vollbart – so stellte man sich den vor. Doch nun steht da der Inbegriff eines Businessmenschen vor seinem Neubau und hält einem strahlend die Hand hin. Aspirinweißes Hemd, picobello rasiertes Kinn, rahmengenähte Lederschuhe. Und der anthrazitfarbene Nadelstreifenanzug sitzt, als wären Maßschneider aus London am Werk gewesen. Der erste Gedanke beim Händeschütteln: Kann dieser Mann ein Ökohausbesitzer sein?

Er kann. Und warum eigentlich nicht? Schließlich entsagt auch sein ökologisch ausgeklügeltes Heim dem Klischee. Das Einfamilienreihenhaus ist alles andere als ein Lehmputzbunker. Es trägt senfgelbe Tünche, hat fabrikneu schimmernde Dachpfannen und sogar Erker. Höchstens die beiden Lüftungsrohre und die Sonnenkollektoren verraten, dass es sich um eines der Niedrigenergiehäuser handelt, die derzeit eine neue Ära des Bauens einläuten. Der Heizenergiebedarf solcher Haustypen beträgt 70 Kilowattstunden pro Jahr und Quadratmeter, was sieben Litern Öl oder Kubikmetern Erdgas entspricht. Mobers Familie benötigt nur 60 Kilowattstunden – das ist rund ein Viertel dessen, was ein vergleichbares Durchschnittswohnhaus verfeuert.

Leidenschaft für Energie

„Fast zwanzig Zentimeter dick haben wir die Mauern eingepackt“, sagt Mobers und klopft auf die Wand. „Die Dämmung allein bringt gut 60 Prozent der Einsparung.“ Dann schließt er die Tür auf. Links und rechts des Entrees hängen bunte Papiergirlanden in Blumenform. Unwillkürlich denkt man an ein Tempeltor. Und liegt damit gar nicht so falsch. Denn der Abteilungsleiter der EnergieAgentur NRW hat sich mit seinem Haus in Wuppertal-Elberfeld ein Sanctum Sanctorum für seine Leidenschaft errichtet. Und die lautet Energieeffizienz. „Egal, was ich tue – ich denke immer daran, wie energieintensiv es ist“, sagt er und lächelt milde. Man könnte seine Passion auch Sportsgeist nennen.

Im Flur empfangen den Besucher apricotfarbene Wände, auf denen Fotos von der Hochzeitsreise nach Neuseeland erzählen. Im Wohnzimmer blickt man auf einen Garten mit Komposthaufen und Gemüsebeeten, in dem die beiden sechs und acht Jahre alten Töchter toben. Warm ist es hier. Aber das ist kein Wunder. Die Terrassentüren sind ja geschlossen. Könnte man die nicht mal aufmachen? Es ist immerhin August. „Fenster und Türen öffnen wir nie“, sagt Dirk Mobers, als könne er Gedanken lesen. Sein Satz klingt apodiktisch. „Hier wird automatisch gelüftet. Alle zwei Stunden tauscht die Grundlüftung die verbrauchte Luft komplett aus.“ Tatsächlich. Man atmet mit Kennermiene ein und stellt fest: Die Luft ist so frisch, als stünde man auf einem grünen Hügel. „Auf das Raumklima möchte ich nicht mehr verzichten“, sagt seine Frau, die gerade aus der Küche kommt. „Immer wieder fällt mir in anderen Wohnungen auf, wie mies die Luft dort ist.“

Gutes Raumklima

Mobers zeigt nach oben, wo knapp unter der Decke zwei weiße Aufsätze wie perforierte Dessertteller an der Wand kleben. Sie schließen die Röhren ab, aus denen die Luft strömt. Niedrigenergiehäuser sind so dicht isoliert, dass nicht mehr genügend Luftwechsel über Ritzen und Fugen stattfindet. Für ein behagliches Klima brauchen sie deswegen ein Belüftungssystem. Bei Mobers verhindert es nicht nur Schimmel, sondern auch, dass der Hausbesitzer in Taschentücher trompeten muss. „Ich habe mir nämlich auch einen Pollenfilter eingebaut“, sagt der Allergiker, während er auf die Wendeltreppe tritt. Sie führt zu dem, was man den Maschinenraum des Niedrigenergiehauses nennen könnte. Der liegt unter dem Dach und hätte auf der Rückbank eines Kleinwagens Platz. Ein nachttischgroßer Kasten und eine Heiztherme mit den Ausmaßen eines Koffers – das ist alles. Mobers kniet vor dem grauen Schrank und schraubt die Abdeckung ab. Man sieht einen Ventilator, der die Außenluft anzieht, und zwei Filter, in denen Dreck und Pollen hängen bleiben. „Und hier ist der Wärmetauscher“, erklärt er einen grünen Klotz. „Die Wohnraumluft wird über Ventile abgesaugt und durch den Tauscher geschickt. Dabei verschwindet die verbrauchte Luft nach draußen, aber nicht ihre Wärme. Die nämlich führt der Wärmetauscher der frischen Außenluft zu. So bleibt trotz ständiger Lüftung der größte Teil der Wärmeenergie im Haus.“ Wenn das im Winter nicht reiche, kommt die Erdgastherme zum Zug.

Dass er selbst weiter ist als manche Zeitgenossen, führt Mobers vor, als er sich aus einem Kleiderschrank ein T-Shirt angelt und es vergnügt auseinanderfaltet. Es ist quittengelb und zeigt ein grienendes Sonnengesicht. „Solarduscher“ steht darunter. Seine Tochter habe es ihm geschenkt, erzählt er stolz, und dass die Achtjährige bereits erklären könne, wie eine Solaranlage funktioniert. Dann öffnet er neben dem Schlafzimmer eine brütend heiße Kammer. Dort steht der Behälter, in dem sich das von seinen Sonnenkollektoren zum Nulltarif aufgewärmte Wasser befindet. 60 Grad zeigt ein Thermometer an. „Wunderbar zum Duschen und Baden“, sagt der Familienvater. Wenn aber irgendwann im Herbst der Zeiger unter 40 sinkt, ist er der Einzige, der sich unter die Brause traut, ohne die Erdgasheizung anzustellen.

Mobers Sonnenkollektoren fügen sich ins Dach fast ohne aufzufallen. Auf dem Haus des Nachbarn dagegen gleißen Photovoltaikanlagen wie aufgerissene Kästen mit Silberbesteck. Warum nicht bei ihm? „Weil sich bei den Solartechnologien zur Stromerzeugung noch einiges tun wird“, sagt der studierte Maschinenbauer, der noch abwarten will. Fest steht allerdings schon heute, dass man die Hälfte des Strombedarfs in Deutschland decken könnte, wenn alle nach Süden ausgerichteten Dächer mit Solarzellen bestückt wären. Rund 15.000 Euro Mehrkosten hat Dirk Mobers beim Bau seines Niedrigenergiehauses in Kauf genommen. In einem Dutzend Jahren werden sich die Ausgaben amortisiert haben, schätzt er und verweist auf die Zuschüsse und das günstige Darlehn der KfW Förderbank.

Neue Fördermaßnahmen

Die staatliche KfW Bankengruppe fördert Gebäude, deren Energiebedarf kleiner ist als in der Energieeinsparverordnung (EnEV) vorgesehen. Ab dem 1. Oktober tritt eine um dreißig Prozent strengere EnEV in Kraft. Die Bank klassifiziert dann Gebäude in „KfW-Effizienzhäuser 70“ und „KfW-Effizienzhäuser 55“, deren Energieverbrauch 70 oder 55 Prozent der neuen Werte nicht übersteigen darf. Passivhäuser unterschreiten die Richtlinien noch viel deutlicher.

Als Weiterentwicklung der Niedrigenergiehäuser kommen sie ganz ohne Fremdenergie aus. Mit Photovoltaikanlagen und Erdwärmepumpen gerüstet sind sie ihr eigenes Kraftwerk und verbrauchen insgesamt maximal 15 Kilowattstunden Energie – so viel wie ein Durchschnittshaushalt allein für Licht und Haushaltsgeräte.

Auch Dirk Mobers hätte gerne eins gebaut. Doch das Grundstück war an einen Bauträger gebunden, und der wusste vor fünf Jahren mit dem Begriff nichts anzufangen. Heute wäre das unwahrscheinlich: Bereits jeder zehnte Neubau ist ein Passivhaus.

Dirk Mobers sitzt jetzt im Wohnzimmer, und seine Frau serviert fair gehandelten Kaffee. Man trinkt und blickt durch Fenster mit einem Wärmedurchgangswert von 1,1. Der lässt viel Licht herein, aber kaum Wärme heraus. Im Flur rauscht die Toilette, in der Küche der Wasserhahn. Aus beiden fließt Regenwasser. Es wird in einer Zisterne gesammelt und deckt die Hälfte der Wasserversorgung.

Auf dem Couchtisch liegt eine Broschüre mit Informationen über Kompensationszahlungen für CO2-Verursacher. Mobers denkt daran, die nächste Urlaubsfahrt zu verrechnen. Wenn man ihn jedoch fragt, wie viel Kohlendioxid er durch sein Niedrigenergiehaus einspare, muss er laut kalkulieren. „Insgesamt sechs Tonnen im Jahr werden es sein“, sagt der 42-Jährige schließlich und streicht sich über die hohe Stirn. Dabei ist das Bauwesen die Schlüsselindustrie im Kampf ums Klima: Weltweit verschleudern Wolkenkratzer, Reihenhäuser oder Fabrikhallen 40 Prozent der Energie. Der umbaute Raum ist damit Klimakiller Nummer eins – noch vor der weltweiten Autoflotte.

Diktat der Nachhaltigkeit

Doch Mobers Thema ist die Effizienz. Auch beim grünen Strom, den er aus Wind- und Wasserkraft bezieht. „Dabei ist es klimapolitisch billiger, eine Kilowattstunde Energie zu sparen, als sie aus erneuerbaren Quellen zu gewinnen“, sagt Mobers, der ein Drittel weniger Strom verbraucht als der Durchschnitt. Denn in der Familie herrscht das Diktat der Nachhaltigkeit. Im Kühlschrank prangt das Zeichen für die Energieeffizienzklasse A+, Strom fressende Trockner sind ebenso verpönt wie Toaster mit unnötig glimmenden Dioden.

Wie aber passt das alles zum Schlafzimmer? Dort steht ein Wasserbett, das elektrisch auf 29 Grad beheizt wird – rund um die Uhr. In einem Niedrigenergiehaus wirkt das wie Teufelswerk. Es verschlägt einem die Sprache. Aber nicht Dirk Mobers. „Wir sparen so viel – da kann man sich schon mal etwas gönnen“, sagt er und strafft mit kurzem Ruck noch sein Jackett. Der Mann weiß eben zu verblüffen. Nicht nur durch seine Garderobe.