Die Welt im Ohr
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Die Welt im Ohr

STARTING UP, 2021

Die Welt im Ohr

 

Im Alten Testament lässt Gott den anmaßenden Turmbau zu Babel scheitern, indem er unüberwindbare Verständigungsprobleme über die Menschen bringt. Der britische Erfinder und Start-up-Unternehmer Danny Manu versucht jetzt, ihnen den Garaus zu machen.

Man muss sich die Szene wohl vorstellen wie einen Sketch der Komikertruppe Monty Python. Wir befinden uns im Restaurant eines Hotels in der chinesischen Zwölf-Millionen-Metropole Shenzen. Goldene Säulen, grüne Jadelöwen, leise zitternde Guzhengmusik. An einem der Tische sitzt ein Paar aus Italien, rätselt lange über die Speisekarte und gibt irgendwann auf. Doch die herbeigerufene Kellnerin kann nicht helfen. Auch die zweite und die dritte verstehen nur Bahnhof vom radebrechenden Englisch. Die Gebärdensprache der Italiener kippt nach und nach ins Operettenhafte, im Lächeln der Angestellten macht sich Verzweiflung breit. Irgendwann greift die Dame aus dem Westen zum letzten Mittel. Sie winkelt die Arme an und lässt sie hektisch auf- und niederwippen, während ihr Mann laut zu gackern beginnt. In diesem Moment leuchtet den Chinesinnen endlich ein, worauf sich der Appetit der Gäste richtet. Aber keine Sekunde früher.

Danny Manu, Gründer der Unterhaltungselektronikfirma CEH Technologies mit der Markenfamilie Mymanu aus Manchester, legt seinen Kopf in den Nacken und lacht aus vollem Hals, als er von diesem Reiseerlebnis erzählt. „Das geschah in keinem Provinzkaff, sondern in der Stadt mit dem größten Pro-Kopf-Einkommen Chinas, wenn man von Hongkong und Macau absieht. Das ganze Land ist sprachlich ein fremder Planet. Wehe dem, der dort ein Taxi besteigt, ohne sich mit einem Schild zu bewaffnen, das dem Fahrer in chinesischen Schriftzeichen sagt, wohin man will. Bis heute wird mir nirgendwo klarer, dass ich auf dem richtigen Weg bin.“

Der Weg des 33-jährigen Londoners ghanaischer Herkunft begann wie der jedes Tüftlers schon ziemlich früh. Doch seine entscheidende Marke setzte Danny Manu 2017, jenem Jahr, in dem er auf dem britischen Markt den nach eigenen Angaben weltweit ersten True Wireless-Ohrhörer platzierte. Mit ihm können seine Träger nicht nur Musik hören, telefonieren, Nachrichten austauschen oder Internetdienste nutzen. Das drahtlose Gadget ist auch in der Lage, in Echtzeit 40 Sprachen zu übersetzen – von Arabisch über Bhasa und Mandarin bis zu Norwegisch, Hindi oder Thai.

Königsweg Kommunikation

Der Name der Earbuds spricht Bände: CLIK. „Das ist das Geräusch, das entsteht, wenn Geräteteile zusammengefügt werden und offenkundig perfekt harmonieren. Ein satter Sound, der mich irgendwie tief befriedigt. CLIK – das steht für gelingende Kommunikation. Und damit für das wichtigste Mittel der Menschheit, Probleme zu lösen“, sagt der Selfmade-Entrepreneur mit den klug blitzenden Augen hinter der Hornbrille. Dass er nach dem Tod seiner Mutter als Kind für ein paar Jahre bei seinem Vater in Ghanas Hauptstadt Accra lebte, hatte ihm schon bald gezeigt, dass Verständigung alles andere ist als eine Selbstverständlichkeit – in Ghana spricht man nicht weniger als 79 Sprachen. „Kulturen müssen begreiflich werden. Tun sie es, faszinieren sie wie kaum etwas anderes. Tun sie es aber nicht, können sie Vorurteile produzieren, die oft verheerender sind, als nur eine falsche Bestellung im Restaurant.“

Mit Mymanu CLIC + und Mymanu CLIK S kamen in den Folgejahren optimierte Versionen des Ohrhörers hinzu, der für sein Design mit dem Red-Dot-Award ausgezeichnet wurde, Hightech wie etwa vier MEMS-Mikrofone auf kleinstem Raum komprimiert und sich via Bluetooth 5.0 mit Android- und iOS-Geräten verbindet. Das in Form der Mymanu Translate App herunterzuladende Übersetzungssystem Myjuno ist eine eigene Softwareentwicklung, läuft über eine Cloud und funktioniert darüber hinaus als dolmetschender Messengerdienst. Auch Abschriften der Unterhaltung ermöglicht Myjuno, das als KI-Anwendung immer besser wird, je häufiger man es benutzt. Im Moment trainiert Danny Manu das Programm mit Slangs, von denen es vor allem in Großbritannien geradezu wimmelt. Um herauszufinden, was die Nutzer brauchen, wurde das System in vielen Hotels der Marriott- und der Louvre-Gruppe getestet. Eins der Ergebnisse: Menschen wollen sich nicht gleichzeitig auf zu viele Reize konzentrieren müssen, was bei Simultanübersetzungen in Face-to-Face-Situationen unausweichlich ist. Myjuno dolmetscht darum Satz für Satz.

Aber relativiert sich der Nutzen nicht in einer Zeit, die das Reisen und den direkten Kontakt infrage stellt – auch und vor allem im Job? „Im Gegenteil“, ist Danny Manu überzeugt. „Gerade wenn virtuelle Konferenzen das nonverbale Erlebnis beschneiden, ist es wichtig, möglichst viele Barrieren der Verständigung einzureißen. Unsere drahtlosen Ohrhörer tun das, indem sie unkomplizierte Live-Gruppenübersetzungen auch bei digitalen Treffen ermöglichen. Bunt zusammengewürfelte internationale Teams werden so über alle Länder- und Sprachgrenzen hinweg kurzgeschlossen und arbeiten produktiver. Ein riesiger Vorteil, mit dem wir uns klar von der Konkurrenz abheben.“ Dabei ist der Nutzen bei weitem nicht nur aufs Business beschränkt. Wie Mymanu in Berlin erprobte, sind auf diese Weise zum Beispiel auch Theatervorstellungen vor einem Publikum aus unterschiedlichen Weltgegenden denkbar – jeder im Saal trägt dann einen drahtlosen Ohrhörer und erlebt das Stück in seiner eigenen Muttersprache.

Titan im Ohr

Der Gedanke an den Babelfisch aus Douglas Adams‘ Roman „Per Anhalter durch die Galaxis“ drängt sich auf – ein gelbes, blutegelartiges Geschöpf, das ins Ohr gesteckt wird, wo es sich von den Gehirnströmen seines Trägers ernährt und ihn in die Lage versetzt, jede Sprache zu verstehen. Der Name des neuesten Coups von Mymanu könnte auch aus einem Science Fiction stammen: TITAN heißen die drahtlosen Ohrhörer, die mit einer E-Sim-Card für beliebig viele Nummern ausgestattet sind und über proprietäre Komponenten verfügen, dank derer sie den Highspeed des LTE-Mobilfunkstandards ohne Umwege nutzen können. Das bedeutet: Als erstes Gerät seiner Art macht TITAN die Verbindung zum Handy überflüssig. Allein die durch Fingertippen steuerbaren, multitaskingfähigen Ohrhörer sorgen für maximale Vernetzung bei äußerster Bewegungsfreiheit.

„Das Potenzial solcher Lösungen ist enorm in einer Welt, in der wir nicht nur immer enger kooperieren müssen, sondern zunehmend auch über Sprachbefehle mit Maschinen kommunizieren“, sagt Danny Manu. „Und das ist nicht nur meine Meinung. Ich hatte mit vielen Konzernen über meine Arbeit gesprochen, aber keiner hat sie so gut verstanden wie die Deutsche Telekom. Sie kaufte CLIK +, war begeistert, erkannte aber noch viele weitere Möglichkeiten. Nachdem wir uns in Bonn getroffen hatten, war klar, dass die Deutschen uns mit ihrem Know-how unterstützen würden bei der Entwicklung von TITAN.“ Danny Manu spreizt die Finger seiner rechten Hand und hebt sie in die Luft. „Dafür bekommen die von mir glatte fünf Sterne!“

Wer Danny Manu foppen will, nennt seine Earbuds bloße Handys fürs Ohr mit Übersetzungsfunktion. Wie verkehrt das wäre, zeigen die technologischen Durchbrüche rund um die Musik, seine größte Leidenschaft. Nicht nur, dass er mit „Gabby“ den ersten wasserresistenten Smart Speaker schuf und mit Mymanu Play eine innovative Streaming-App für Audiophile und Musikprofis; er hat auch so lange an CLIK + herumgetüftelt, bis ihm die Weltneuheit gelang, einen Zwei-Wege-Treiber in die kleinen drahtlosen Stöpsel zu integrieren.

Neugierde in der DNA

„Damit nimmst du Musik in Frequenzen wahr, die dir sonst verborgen bleiben, du hörst sie in exakt jener Form, die im Studio produziert worden ist“, sagt Danny Manu, der im Alter von acht Jahren als jüngstes Mitglied einer Gospelband Piano spielte. Mit ihr tingelte er damals durch Londoner Kirchengemeinden und verdiente sein erstes eigenes Geld. Jahre später tourte er mit Bands verschiedener Genres als Keyboarder, Bassist, Drummer und Gitarrist und machte sich landesweit einen Namen als Musikproduzent mit eigenem Studio, das Künstler wie Cathy JJ oder Fleur East bis auf die ersten Plätze der Charts brachte.

Aber es gab auch eine andere Passion, die sich ebenso früh abzeichnete. Was immer man Little Danny schenkte – er baute alles erst einmal auseinander, um die Sache von Grund auf zu verstehen. „Meine Familie überlegte es sich jedes Mal gut, welches Spielzeug sie mir kaufen sollte. Heute beschenke ich mich zwar vor allem selbst. Aber das Auseinandernehmen und wieder Zusammensetzen ist geblieben. Vor kurzem habe ich mir eine Drohne gekauft, und wenn ich ehrlich bin, dann nur zu diesem Zweck“, grinst er. „Das steckt wohl in meiner DNA.“

Für den musikbesessenen Homo Faber lag die Ausbildung auf der Hand: Am Londoner City and Islington College absolvierte er das Studium „Sound design and Engineering“. In dieser Zeit begann er bei Howe Green zu jobben, einer Firma, die Zugangsabdeckungen herstellt. Nicht besonders sexy. „Aber für mich ein Erweckungserlebnis“, sagt Danny Manu. „Ich habe erst dort begriffen, dass ich ein geborener Ingenieur bin. Der Direktor von Howe Green erkannte das auch. Unter ihm wurde ich Senior CNC und Produktentwicklungsingenieur und wollte absolut alles lernen – Produktdesign, Herstellung, Programmieren, einfach alles. Und mein Mentor zeigte es mir mit dem gleichen Enthusiasmus. Diese grell neugierige Zeit war wohl der Katalysator für mein Start-up-Ding.“

Änderung der Flugroute

Zuerst aber führte die Neugierde Danny Manu weiter. Nach Manchester, um genau zu sein. Dort arbeitete er fünf Jahre lang bis 2016 unter dem Dach von Haynes International für die Luftfahrtsparte von Rolls Royce als Senior Aerospace Engineer und Produktentwickler. Auch das ein Anstoß des Direktors von Howe Green. Doch irgendwann schmiss Dannys Tochter Gabby ihr Telefon in die Badewanne – und ihrem Vater ging auf, dass er statt Turbinen zu bauen lieber dabei helfen wollte, ein besseres, kommunikativeres und unbeschwerteres Leben zu führen. Zum Beispiel mit einem sprachgesteuerten Bluetooth-Lautsprecher, mit dem man unter der Dusche Musik hören und telefonieren kann. Er erfand den Speaker, taufte ihn auf den Namen seiner Tochter und gründete dafür 2014 das Start-up-Unternehmen Mymanu LTD, das er fünf Jahre später in CEH Technologies aufgehen ließ, um die Kapitalbeschaffung für den Bau der Produktionslinien zu erleichtern.

Für Gabby schloss Danny Manu einen weltweiten Vertriebsvertrag mit der britischen Baumarktkette B&Q ab und reinvestierte die Einnahmen in die Entwicklung von Mymanu CLIK. Die Ohrhörer gediehen aber nicht nur auf der Basis solchen Bootstrappings und des Einsatzes von Erspartem. Maßgeblich waren insbesondere Crowdfunding-Projekte. Dass sie auf den Plattformen Kickstarter und Indiegogo mehr als eine halbe Million Pfund einbrachten, schreibt Danny Manu nicht zuletzt der Tatsache zu, dass man viel über plakative Bilder und anschauliche Videos kommuniziert.

„Eine Technologie, die nicht existiert, zu realisieren mit Komponenten, die nicht existieren, ist immer eine Herausforderung“, sagt der Ingenieur und verweist auf die mit Prozessoren und technischen Details vollgepackten Ohrhörer, für die marktübliche Batterien viel zu groß gewesen wären. Also habe man Batterien im passgerechten Format einfach selbst entwickelt. Als „tech guy“ ist der Gründer bis heute im Team für die technischen Innovationen verantwortlich. Das bedeutet viel Programmierungsarbeit und die detaillierte Berücksichtigung von Anwenderfeedbacks, die man möglichst schon während des Crowdfundings einsammelt. Danny Manu: „Viele Start-ups haben Angst zu viel preiszugeben und unterschätzen die konstruktive Kraft einer starken, enthusiastischen Community. Ihnen rate ich zu mehr Offenheit. Eine Pflanze wächst ja auch nicht im Dunklen!“

Was aber ist das Wichtigste für ein erfolgreiches Start-up? Danny Manu macht eine kurze Pause und lehnt sich zurück. Er legt die Arme auf die Sofalehnen und lächelt wieder sein nichts als gewinnendes Lächeln. Dann schaut er wie ein Mann, für den es keine andere Antwort geben kann. „Es ist die Idee, das Produkt selbst, verstehst du? Es muss von einer inneren Notwendigkeit sein, um seiner selbst willen vorangetrieben werden, jeden im Team fest an seinen Sinn glauben machen. Auch dann, wenn der Weg steinig wird. Oder dann vor allem. Denn steinig wird er, das steht fest. Sollte sich die Sache irgendwann bequem anfühlen, weißt du, dass du etwas falsch machst.“